Zweitligist Norwich City steigt auf Aufstieg von Norwich City - Ein Märchen „made from Germany“

Düsseldorf/Norwich. · Entgegen aller Erwartungen führte Daniel Farke den englischen Zweitligisten Norwich City zum Aufstieg. Eine Geschichte über verpasste Chancen und glückliche Umwege.

 Der Architekt des Erfolgs: Daniel Farke präsentiert nach dem letzten Spieltag in der Championship den Fans den Meisterpokal. Rechts oben: Rund 50 000 Fans feierten in den Straßen von Norwich mit der Mannschaft.Rechts unten: Die Fans haben den deutschen Trainer mittlerweile in ihr Herz geschlossen.

Der Architekt des Erfolgs: Daniel Farke präsentiert nach dem letzten Spieltag in der Championship den Fans den Meisterpokal. Rechts oben: Rund 50 000 Fans feierten in den Straßen von Norwich mit der Mannschaft.Rechts unten: Die Fans haben den deutschen Trainer mittlerweile in ihr Herz geschlossen.

Foto: picture alliance/dpa/Nigel French

In Lippstadt scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Hier, wo der namensgebende Fluss mitten durch die Stadt fließt und Peters Schokowelt zu den Sehenswürdigkeiten zählt, ist alles ein wenig ruhiger als in den Metropolen. Auch sportlich geht es bescheiden zu. Der klassenhöchste Verein, der SV Lippstadt, hat vor kurzem den Verbleib in der viertklassigen Regionalliga West klargemacht. Was das alles mit dem englischen Sensationsaufsteiger Norwich City zu tun hat? Nun, man muss diese Geschichte in der rund 68 000 Einwohner zählenden Kleinstadt in Ostwestfalen beginnen, um das Phänomen Norwich, aber noch viel mehr das Phänomen Daniel Farke zu verstehen.

Denn genau hier, wo einst die Brüder Karl-Heinz und Michael Rummenige geboren wurden, verdiente sich der 42-Jährige seine ersten Sporen als Trainer, lernte, wie man eine Mannschaft aufbaut, wie man eine Spielidee vermittelt und wie es ist, mit Rückschlägen umzugehen. Alles Zutaten also, die mit dazu beigetragen haben, dass jüngst ein Fußballmärchen tatsächlich Realität wurde.

Als aktiver Fußballer blieb Farke der große Durchbruch noch verwehrt. Zwar galt er als technisch versierter Stürmer und wurde 2003 mit 36 Treffern sogar Torschützenkönig in der Oberliga Westfalen, doch höher als dritte Liga sollte er nie spielen. Nach Stationen in Wilhelmshaven, Bonn und Meppen beendete er mit 32 Jahren seine Karriere dort, wo sie einst Fahrt aufnahm – in Lippstadt. Parallel studierte er in Paderborn BWL mit dem Ziel, irgendwann ins Sportmanagement einzusteigen. An eine Laufbahn als Trainer habe er dabei nie gedacht, wie er dem Portal „spox.com“ verriet: „Ich wollte nie Trainer werden. Das war mir eigentlich immer klar. Es war weder Wunsch noch Ziel für mich.“

Nach der Karriere wurde er direkt Trainer und Sportdirektor

Dass es doch anders kam, dürfte der gebürtige Steinfurter im Nachhinein als Glücksfall einstufen. Jedenfalls übernahm er kurz vor Ende der Saison 2008/09 bei seinem Heimatklub die Posten als Trainer und Sportdirektor in Personalunion. Und der Erfolg stellte sich mit dem Novizen erstaunlich schnell ein: Innerhalb von nur vier Jahren führte Farke die Lippstädter zu zwei Aufstiegen bis hoch in die viertklassige Regionalliga West. Eine Sensation.

Aber auch das Ergebnis von harter Arbeit und Leidenschaft, das zeigt sich spätestens, als er 2013 mit der Ausbildung zum Fußballlehrer beginnt. Täglich pendelte er fortan die Strecke ins über 180 Kilometer entfernte Hennef hin und zurück. In dieser Zeit sei er nicht oft zu Hause gewesen, ein Privatleben habe praktisch nicht stattgefunden, erzählte er in einem Interview mit „dfb.de“. „Viele Dinge sind extrem auf der Strecke geblieben. Das war nicht immer einfach“, gestand er. „Man muss eine gewisse Stressresistenz entwickeln, akribisch weiterarbeiten und funktionieren. In allen Bereichen. Nur so geht es.“

Die Strapazen sollten sich letztlich auszahlen. 2014 schloss er den Lehrgang als drittbester seines Jahrgangs ab. Während es persönlich für ihn bestens lief, musste er im Ligabetrieb den ersten Rückschlag hinnehmen und stieg mit dem SVL nach nur einer Saison wieder aus der Regionalliga ab. Farke ging den Weg in die Oberliga zunächst mit, beendete zum Saisonende jedoch sein Engagement und zog weiter.

Nächste Station für den Mann mit den langen dunklen Haaren wurde die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund. Dort traf er mit Christoph Zimmermann auf einen Spieler, dem das gleiche Schicksal drohte wie einst seinem Coach. Der gebürtige Düsseldorfer galt als zuverlässiger und grundsolider Innenverteidiger, für höhere Weihen sei er jedoch zu limitiert, meinten Kritiker. „Früher hörte ich oft, die 3. Liga sei meine Grenze“, offenbarte der 26-Jährige dem „Kicker“. Und als sich der fast zwei Meter große Hüne bereits mit einem Lehramtsstudium beschäftigte, funkte erneut das Schicksal dazwischen.

Diesmal in Person von Stuart Webber. Dieser suchte im Sommer 2017 als Sportdirektor von Norwich City nach einem geeigneten Trainer für den ins Trudeln geratenen englischen Zweitligisten und erinnerte sich an seine guten Erfahrungen mit der Dortmunder Trainerschmiede. Immerhin war er es, der zwei Jahre zuvor bereits Farkes Vorgänger beim BVB II, David Wagner, auf die Insel lockte, damals zu Huddersfield Town, mit dem das Duo später sensationell in die Premier League aufstieg.

Davon konnte in Norwich nicht die Rede sein. 2016 stieg der Klub aus dem Osten Englands aus der Beletage des britischen Fußballs ab. Trotz finanzieller Anstrengung und eines teuren Kaders wurde aus dem angepeilten Wiederaufstieg nichts. Vielmehr drohte den Kanarienvögel, wie der Klub aufgrund der traditionellen Zucht dieser Vögel in Norwich genannt wird, dasselbe Schicksal wie aktuell dem Hamburger SV oder dem VfL Bochum: Ein Daueraufenthalt in der 2. Liga. Für die treuen Anhänger, die sich vom Selbstverständnis her ohnehin als fester Premier-League-Standort sehen, eine absolute Horror-Vorstellung.

In diese Gemengelage zwischen Anspruch und Wirklichkeit installierte Webber also einen unbekannten deutschen Trainer aus der 4. Liga. Das stieß nicht bei allen auf Gegenliebe. Doch weder Webber noch Farke ließen sich davon irritieren. „Als Wettbewerber hat mich die ultimative Herausforderung gereizt, mit Norwich einen Klub zu übernehmen, den maximale Probleme im Tagesgeschäft belastet und zugleich hohe Erwartungen umgeben hatten“, sagte Farke der „SZ“. „Mir war bewusst: Wenn ich in dieser Konstellation erfolgreich sein kann, bin ich im Fußball für alle Aufgaben bereit.“

Zu Farkes ersten Amtshandlungen zählte, den überalterten und überteuerten Kader umzugestalten. Aufgrund der überschaubaren finanziellen Mittel, war bei diesem Vohaben vor allem Kreativität gefragt. Entsprechend verpflichtete er zusammen mit Webber vornehmlich junge Spieler, die wenig kosteten und auf ihren bisherigen Stationen unter ihren Möglichkeiten blieben oder den großen Durchbruch nicht schafften.

Neben Zimmermann, den er ablösefrei aus Dortmund mitbrachte, stießen noch weitere Spieler mit BVB-Vergangenheit zu den „Canaries“.  Darunter auch Mario Vrancic (Darmstadt 98) Marco Stiepermann (VfL Bochum) und Moritz Leitner (FC Augsburg). Gerade Leitner hatte sich aus verschiedensten Gründen in Deutschland in eine (Karriere-)Sackgasse manövriert. Norwich schien für den ehemaligen U21-Nationalspieler womöglich die letzte Chance, seiner sportlichen Laufbahn neuen Schwung zu verleihen. „Daniel Farke und ich kannten uns schon aus Dortmund“, sagte Leitner dem „Kicker“. „Wir können gut miteinander quatschen, auch mal über andere Dinge als Fußball.“

Farke führte einen neuen Spielstil mit Ballbesitzfußball ein

Trotz der guten Beziehungen geriet der Anfang schleppenend. Die erste Saison in der Championship endete auf Rang 14 von 24 Teams. Vielleicht auch deshalb, weil sich die Spieler erst einmal an den neuen Spilstil gewöhnen mussten. Denn im Gegensatz zu den meisten englischen Teams, die immer noch den längst als ausgestorbenen geglaubten „Kick-and-Rush“-Stil praktizieren, präferiert Farke vielmehr einen technisch-sauberen Ballbesitzfußball mit geordnetem Spielaufbau und viel Laufarbeit. Ein Prozess, der Zeit benötigte und sich auch aufgrund der Ergebnisse gegen Wiederstände erwehren musste.

Doch mit Beginn der neuen Saison sollte sich Farkes Beharrlichkeit wie schon bei der Fußballehrerausbildung dann auszahlen. Nach anfänglichem Stottern (von den ersten fünf Spielen gingen drei verloren) kam der gelb-grüne Motor nach und nach so richtig auf Betriebstemperatur. Von den nachfolgenden 41 Saisonspielen gewann das Team 26 (bei zwölf Remis und nur drei Niederlagen), viele davon sogar in der Schlussphase – der guten Physis sei dank.

Und einen Spieltag vor Saisonende passierte dann das, womit im Vorfeld niemand gerechnet hatte: Dank eines 2:1 an der heimischen „Carrow Road“ gegen Blackburn Rovers war Norwich vorzeitig aufgestiegen. Die nächste Sensation. „Jeder sagt dir, du brauchst Erfahrung und Geld, um in dieser Liga erfolgreich zu sein – aber wir haben alle Regeln gebrochen“, sagte Farke später dem „Kicker“.

Der Wind hatte sich gedreht – wie auch das Standing des Trainers bei den Fans. Die hatten Farke mittlerweile einen eigenen Song gewidmet und das Lied „Parklife“ der Band „Blur“ in „Farkelife“ umgedichtet. Darin heißt es: „All the Germans. So many Germans. They all go hand in hand. Hand in hand through their farkelife.“

Das Fußballmärchen wurde also wahr. Und offensichtlich ist gerade England die ideale Brutstätte für solche Geschichten. Ein Land, dessen 1. Liga durch die Abermilliarden von TV-Geldern, Scheichs und Oligarchen längst zu einem großen Eventspielplatz aufgepumpt wurde. In dieser Glitzerwelt scheinen Geschichten wie die Meisterschaft von Leicester City (2016) sowie die Aufstiege von Huddersfield Town (2017) oder eben Norwich City umso heller. Denn sie sind der lebende Beweis dafür, dass in der vermeintlich stärksten Liga der Welt auch Underdogs mit vergleichsweise kleinerem Geldbeutel für Sensationen sorgen können.

Genau so eine wollen Farke und seine „Germans“ ab der kommenden Saison eine Etage höher wieder schaffen. Auch in Lippstadt werden sie genau verfolgen, wie sich ihr ehemaliger Erfolgscoach schlägt. Dort, wo zwischen Lippe und Peters Schokowelt alles begonnen hat.

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