21. Juni 1998 – Das Schandmal von Lens

Deutsche Hooligans prügelten den französischen Gendarmen Daniel Nivel fast zu Tode.

Düsseldorf. Als seine rücksichtslosen deutschen Peiniger vor dem Essener Landgericht 1999 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden, sitzt der französische Polizist Daniel Nivel unter den Zuhörern. Nur mühsam kann er der Verhandlung folgen. Dann lächelt Daniel Nivel. Es muss ihm gerade etwas Schönes durch den Kopf gegangen sein. Die Erinnerung an den 21. Juni 1998 in Lens war es sicher nicht.

Vor dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Jugoslawien gerät Nivel bei der Weltmeisterschaft in Frankreich in einen Hinterhalt. Kurz nachdem der 1,90-Meter-Mann noch mit dem kleinen Matthieu in der Seitenstraße Romuald Prouvost Fußball gespielt hat, stürmen deutsche Hooligans die kleine Nebenstraße und treten blindwütig auf Nivel ein.

Wie im Blutrausch. "Mich hat der Teufel geritten", erzählt einer der Täter, Frank R. aus Gelsenkirchen. Der gelernte Bäcker hat seine Strafe verbüßt. "Wir haben das Leben von Daniel Nivel zerstört. Und unsere eigenen auch", sagte R. im Gespräch mit der Bild-Zeitung.

Vor der Tür des Hauses mit der Nummer 74 lassen die Schläger den blutüberströmten Nivel achtlos liegen, als weitere Polizisten ihrem schwerverletzten Kollegen zu Hilfe eilen. Nivel lag sechs Wochen im Koma, er leidet bis heute unter Gleichgewichts- und Sprachstörungen, ist auf einem Auge blind. "Warum ausgerechnet ich?", fragte Nivel in einem zwei Jahre später gedrehten Dokumentarfilm.

Frank R., Andre Z., Tobias R., Christopher R. und Daniel K. werden zu Haftstrafen zwischen drei und zehn Jahren verurteilt. Markus R. erhält in St. Omer in Frankreich fünf Jahre Gefängnis.

Nivel hat sich an den Tag der Schande nie erinnern können. Mit seiner Ehefrau Lorette lebt Nivel zurückgezogen in Arras. Über den Überfall der deutschen Hooligans will die Familie Nivel nicht mehr reden.

Das Verfahren vor dem Essener Landgericht zeigte rücksichtslose Menschen, die erst ganz allmählich bereit waren, ihre Tritte zu bereuen. Tränen gab es damals nur bei Frank R..

Er lebt heute von Hartz IV, seine Frau ließ sich im Knast von ihm scheiden. Er hat fast alles verloren. Und sehnt sich zurück nach dem Fußball. Ende des Jahres läuft sein bundesweites Stadionverbot ab. Dann will er wieder "aufSchalke". Frank R. beteuert, dass er kein Hooligan mehr sei, mit der Szene habe er nichts mehr zu tun. Dass es die Szene auch weiter in Deutschland gibt, bestreitet er nicht.

Daran hat auch ein fast zu Tode getretener unschuldiger französischer Gendarm nichts ändern können. Der Essener Anwalt Harald Wostry hat Nivel damals in Essen als Nebenkläger vertreten. Das Verfahren habe zumindest dafür gesorgt, das "die deutsche Hooligansszene wie niemals zuvor durchleuchtet und geschwächt wurde, weil die Polizei sehr gut ermittelte".

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