Russland hofft nach Fiasko noch auf Olympia-Siege

Moskau (dpa) - Die russischen Olympia-Fans sind entsetzt. Nach der historischen Pleite bei den Winterspielen 2010 in Vancouver liegt die seit Sowjetzeiten stolze Sportnation auch in London um Längen hinter ihren Zielen.

In der Nationenwertung war Medaillenplatz drei das Ziel. Mit Rang sechs steht das Land derzeit etwas besser da als in Vancouver mit Platz elf. Aber: Erste Trainer werfen hin. Die Regierung in Moskau bemüht sogar Kriegsrhetorik, um den Siegerinstinkt zu wecken - und hofft nun auf einen Goldregen bei Russlands Königsdiszplinen. Der Gastgeber der nächsten Winterspiele 2014 in Sotschi am Schwarzen Meer ist angeschlagen.

„Wir sind jetzt praktisch wie im Krieg. Das Wichtigste ist, die Heimat zu verteidigen. Die Konsequenzen ziehen wir später“, sagt Sportminister Witali Mutko. Er muss nach dem Debakel von Vancouver schon die zweite Olympia-Schlappe verantworten. Von den 20 bis 30 Goldmedaillen, die er als Ziel ausgab, ist das Land meilenweit entfernt. Lediglich sieben Olympiasiege durften die Russen nach 179 der 302 Entscheidungen bejubeln - das Ergebnis von Peking 2008 mit 23 Goldmedaillen ist nicht mehr zu erreichen.

Dabei hatte Kremlchef Wladimir Putin die 436 russischen Olympia-Athleten mit Nachdruck zu Erfolgen aufgefordert. „Unsere Fahne soll oft hochgezogen und unsere Hymne oft zu hören sein“, betonte der Präsident bei einem Empfang im Kreml. Medaillen-Prämien von bis zu 100 000 Euro sollten Ansporn sein. Immerhin gab es Gold in Putins Lieblingsdisziplin Judo, die er in London selbst als Zuschauer besuchte.

Die zweite Olympia-Woche verspreche noch eine „reiche Gold-Ernte“, versuchten Medien in Moskau die Fans zu trösten. Hoffnungsträger sind Stabhochspringerin Jelena Issinbajewa, die am Montagabend aber auch nur Bronze holte, die Geherin Olga Kanisskina, die Synchronschwimmerinnen und die Königin der rhythmischen Sportgymnastik, Jewgenia Kanajewa. „Wir glauben daran, fiebern mit und warten. Auf den Sieg!“, schmetterte die Moskauer Boulevardzeitung „Komsomolskaja Prawda“ am Montag.

Hämisch fragte das Blatt angesichts der Feierkultur im Russischen Haus in London jedoch, ob die Russen Sieger im Singen werden wollten. Die russischen Sportfunktionäre wollten von Untergangsstimmung jedenfalls nichts wissen. „Unsere früheren Landsleute schnappen uns viele Medaillen weg“, sagt der Präsident des Olympischen Komitees Russlands, Alexander Schukow. „Selbstverständlich haben die Fans das Recht, bessere Ergebnisse zu erwarten. Aber natürlich ist es auch nicht so leicht, Medaillen zu gewinnen.“

Schukow kündigt „ernste Entscheidungen“ an, um die Sportler für die nächsten Sommerspiele in Brasilien „konkurrenzfähig zu machen“. Vor allem will er dafür die besten Trainer der Welt nach Russland holen. „Vom Trainer hängt sehr viel ab“, betonte er. Ihren Rücktritt kündigten zunächst die Nationaltrainer der Fecht- und Schießmannschaften, Wladislaw Pawlowitsch und Igor Solotarjow, an.

Statt der geplanten sechs Medaillen hätten die Fechter nur dreimal auf dem Treppchen gestanden, sagte Pawlowitsch. Die Schützen brachten nur eine Bronze-Medaille.

Die Furcht vor einer Pleite bei den Spielen in Sotschi, die Russland sich schätzungsweise über zehn Milliarden Euro kosten lässt, bereitet der früheren sportlichen Supermacht Kopfschmerzen. Die dreimalige Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Irina Rodnina beklagte, mit der Sowjetunion seien 1991 auch die gesamte Nachwuchsarbeit sowie der Respekt vieler Sportler vor dem fast militärischen Drill ihrer Trainer untergegangen.

Die Zeit bis Sotschi sei zu kurz, „um alle Fehler des Postkommunismus zu beseitigen“, sagte die 62-Jährige in einem Interview. Einige Medien begründeten den Leistungsknick auch mit einem angeblich schärferen Anti-Doping-Kurs.

Sportminister Mutko lehnte einen Rücktritt ab, den Regierungschef Dmitri Medwedew noch in seinem Amt als Präsident angedroht hatte. „Was Ihr doch blutrünstig seid“, sagte der enge Freund von Putin Reportern. Ob jemand glaube, dass sich die Lage bessere für Russland, wenn er gehe, fragte er bissig. Er sei als Minister zuständig dafür, die Bedingungen für sportliche Erfolge zu schaffen. Und nichts anderes habe er getan. Vor den Spielen in London hatte er noch von Platz drei gesprochen - „hinter den USA und China und auf jeden Fall vor Gastgeber Großbritannien“. Daran wird er sich nach den Spielen messen lassen müssen.

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