#Rio2016 Julius Brink: „Sollten nicht auf andere zeigen“

2012 gewann er mit Jonas Reckermann Gold im Beachvolleyball: Julius Brink über Aufgaben in Rio, seine Medaille auf dem Dachboden und einen „heuchlerischen“ Anti-Doping-Kampf — auch in Deutschland.

Julius Brink, Sie gehören zum Team der ARD bei Olympia in Rio. Vier Jahre nach dem Gewinn der Goldmedaille in London stehen Sie jetzt auf der anderen Seite.

Julius Brink: Das wird eine sehr große Aufgabe. Ich bringe mich als Experte beim Beachvolleyball ein, werde auch das Gesamtthema Olympia im Blick haben, abseits der Wettkampfstätten will ich den Mythos einfangen. Ich habe das ja erst vor vier Jahren in London erlebt. Und in einem persönlichen Format treffe ich mich mit den Athleten an bestimmten Locations in Rio. Also: Ich stelle mich da nicht auf drei Wochen Urlaub ein.

Was lässt sich von den deutschen Beachvolleyball-Teams erwarten?

Brink: Wir sind leider mit nur drei statt vier Teams da. Und dennoch eine große Macht. Mit Laura Ludwig und Kira Walkenhorst haben wir immerhin einen absoluten Medaillenkandidaten am Start.

Die Situation bei den Herren ist aber unbefriedigend. Mit Böckermann/Flüggen ist nur ein deutsches Team dabei.

Brink: Das ist ein großes Thema im deutschen Männer-Beachvolleyball. Für Böckermann und Flüggen ist die Qualifikation ein sehr, sehr großer Erfolg. Insgesamt ist die Situation natürlich desaströs. Bei den letzten Olympischen Spielen waren immer deutsche Männerteams aus der Weltspitze dabei, die auch Medaillenchancen hatten. In den seltensten Fällen hat es dann geklappt. Das ist jetzt definitiv nicht mehr so. Wir haben überhaupt nur noch ein Team, das auch als ein wirkliches Team auftritt und die komplette Saison zusammen spielt. Bitter, weil das deutsche Männer-Beachvolleyball immer ein Aushängeschild war.

Können Böckermann/Flüggen die Last tragen?

Brink: Die beiden haben sich das verdient. Ich freue mich für sie, weil das Typen sind, denen von Verbandsseite anfangs wenig zugetraut wurde. Da lagen immer Matysik/Erdmann und Walkenhorst/Windscheif vorne. Und dann haben diese beiden es allen gezeigt, trotz weniger Fördergelder und allem was daran hängt. Sie haben sich das hart erarbeitet, und das imponiert mir immer am meisten. Sie sind jetzt Nummer 15 der Setzliste, das riecht nicht nach großer Medaillenchance, aber Olympia ist eben auch nur ein einziges Turnier. Da geht es darum, seine Chance zu nutzen, mit den Gegebenheiten gut umzugehen. Ich glaube, das werden die beiden gut machen.

Wie Sie beim unfassbaren Gold-Moment 2012 in London?

Brink: Wir waren damals im Flow. Unsere Bedingungen waren alles andere als gut. Wir hatten viel mit Verletzungen zu kämpfen. Jonas hatte ja zu der Zeit gar nicht mehr richtig trainieren können. Der lag mehr auf der Bank beim Physio. Seine Frau war zudem schwanger und hatte während der Spiele eine Lebensmittelvergiftung erlitten. Das waren keine Voraussetzungen, bei denen du sagst: Wir räumen hier jetzt alles ab. Dennoch haben wir es geschafft.

2008 war das ganz anders.

Brink: Ja, damals in Peking waren wir auf den Punkt topfit, hatten alles minutiös vorbereitet — und das Ergebnis war ein Desaster. Man kann viel für den Erfolg tun, aber auch das Glück im richtigen Moment ist für den Riesenerfolg wichtig. Ich glaube, dass wir beide auf unfassbare Weise sehr bereit waren, dem Erfolg alles unterzuordnen. Das hat uns ausgezeichnet. Wir hatten keine Gott gegebenen Voraussetzungen, ich etwa war eigentlich zu klein. Aber es kommt auf viele Faktoren an.

Würde Ihnen ohne dieses Gold heute etwas fehlen?

Brink: Nein. Ich nehme das gerne mit — natürlich hat sich beruflich die ein oder andere Tür für mich geöffnet, so funktioniert eben unsere Gesellschaft — aber wenn ich das Private sehe, dann läuft mein Leben so, wie ich es mir wünsche. Und das wäre es wohl auch ohne Goldmedaille. Dennoch bin ich zutiefst dankbar für das was mir der Sport grundsätzlich vermittelt hat.

Wo ist die Medaille heute?

Brink: Die liegt bei mir zu Hause in einer Sporttasche auf dem Dachboden. Ich habe die keinesfalls groß ausgestellt.

Sie haben nach dem Olympiasieg noch weitergespielt, anders als Partner Reckermann. Bis Sie 2014 von Ihrer schmerzhaften Hüfte aufgehalten wurden.

Brink: Mich hat das tägliche Sport treiben und der ständige Versuch, etwas auf sehr hohem Niveau auszureizen, schon unfassbar befriedigt. Das kann man in anderen Berufsfeldern auch nur sehr, sehr schwer wieder spüren. Im Sport bekommt man schnell eine ehrliche Rückmeldung. Das fehlt mir zum Teil. Irgendwie bin ich aber auch froh, dass mir diese Entscheidung abgenommen wurde. Ich habe es so gerne betrieben, dass ich nicht sicher bin, ob ich mit meiner Entscheidung über ein Karriereende wirklich glücklich ausgesehen hätte.

„Gold trifft Goldhoffnung“ - so hieß das Format, in dem Reckermann und Sie deutsche Medaillenhoffnungen besucht haben. Wer hat Ihnen besonders imponiert?

Brink: Sie alle verbindet die absolute Leidenschaft zum Sport. Das hat mir imponiert. Martin Kaymer zum Beispiel ist ein absoluter Weltstar und ist mit uns in Düsseldorf in seine Lieblingswirtsstube gegangen. Und sagt, dass er am liebsten Wurzelgemüse mit Pinkel isst. Ein ganz bodenständiger Typ. Menschlich überzeugend. Wenn man sieht, was für eine Leidenschaft und Inspiration dieses Thema Olympia für ihn hat, das finde ich Wahnsinn. Der könnte fein ins Hotel absteigen und seine Runde in Rio spielen. Aber wie sehr er danach durstet, in einem Team zu sein, im olympischen Dorf zu wohnen und teils lange Wege auf sich zu nehmen — da ist ein Teamplayer an eine Einzelsportart verloren gegangen. Oder: Schauen Sie sich mal das unfassbare Trainingspensum der Fünfkämpferin Lena Schöneborn an. Und die arbeitet nebenher noch halbtags bei einer Agentur. Oder: Kanusportler Max Hoff, der um 5 Uhr auf dem Baldeneysee in Essen seine Runden zieht. Bei einer Kälte, wo uns beim Dreh die Hände abgefroren sind.

Der Mythos Olympia leidet an der Dopingdiskussion, derzeit steht Russland im Fokus. Hätte Russland die Teilnahme ganzheitlich verboten werden müssen?

Brink: Die Entscheidung zu fällen war schwierig. Für mich ist dieser Anti-Doping-Kampf weltweit heuchlerisch. Wir tun derzeit alle so, als wäre er weltweit das größte Anliegen. Als würden wir und das IOC alles dafür tun. Das ist mitnichten der Fall. Auch in Deutschland ist das ganz sicher nicht so. Die Nationale Anti Doping Agentur (Nada) und insbesondere die Wada nagen finanziell am Hungertuch. Sie hat auch nicht annähernd die Mittel, um den Kampf gegen Wissenschaftler und ganze staatliche Systeme, die alles dafür tun, ihre Sportler zu Gold zu führen, zu kämpfen. Wenn die Nada hierzulande so knapp gehalten wird, dann würde ich im aktuellen Fall Russland sehr ruhig sein und nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Das staatlich gelenkte Doping dort ist sicher unterste Schublade und kriminell. Aber wir hier in Deutschland sind definitiv nicht in der Position, uns im Anti-Doping-Kampf groß aus dem Fenster zu lehnen. Auch wenn ich mir eine härtere Bestrafung der Protagonisten und eine Besserstellung der Whistleblowerin gewünscht hätte.

Wo sehen Sie deutsche Negativbeispiele?

Brink: Ich erinnere an das Thema Radsport. Da hatten wir einen staatlichen Sender, der mit gesundem Menschenverstand über seine jahrelangen Übertragungen hätte merken müssen, dass da etwas nicht stimmt. Das Team Telekom war von einem staatlichen Telekommunikationsunternehmen gesponsert. Oder: Wir reden immer noch über ungleiche Bedingungen in Testpools. Ich bin mir nicht sicher, ob Bundesliga-Fußballer, die jetzt bei Olympia starten, zu den gleichen Bedingungen der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) getestet werden, wie andere Athleten. Das müsste man nochmal überprüfen, aber ich glaube nicht daran. Wir haben weltweit unterschiedliche Standards.

Das Thema scheint Sie emotional zu packen.

Brink: Wir haben im Sport Schiedsrichter und Regeln. Die Nada oder die Wada sind für mich der verlängerte Arm dieses Schiedsgerichts. Wenn wir jetzt unterschiedliche Spielregeln haben, dann haben wir schon mal ein Riesenproblem. Und was ich gar nicht begreife: Die Wada hat doch null Möglichkeiten. Kontrolleure brauchen ein Visum, haben keinen Diplomatenstatus, können also zum Beispiel in Russland oder China nie unangekündigt testen. Und die Wada nennt das dann: unangekündigte Tests. Das ist einfach lächerlich. Die Wada braucht Unabhängigkeit. Der Sport krankt derzeit. Die Themenfelder Doping, Fifa, IOC — alles schädlich für den Sport, der Menschen eigentlich emotional berührt. Bei Olympia öffnen Menschen ihr Herz. Das dürfen wir nicht mit Füßen treten. Wenn man beim Zusehen vom Sofa aufspringt und später erfährt: Das war alles getürkt — etwas Schlimmeres gibt es nicht für den Sport. Das ist der worst case.

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