Jahrhundertmann Coubertin: Groß im Stiften und im Irrtum

Berlin (dpa) - Baron Pierre de Coubertin hat der Welt die modernen Olympischen Spiele geschenkt. Am 1. Januar jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal. Genug Anlass, um das Wirken und die Wirkungen des französischen Jahrhundertmanns und großen Stifters zu beschreiben.

Im Jahre 1913 erschuf Baron Pierre de Coubertin die fünf olympischen Ringe als ein Symbol von friedlicher Verbundenheit durch Sport über alle Kontinente hinweg. 15 Jahre später, da war der Jahrhundertmann schon nicht mehr Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wurde Coca-Cola zum ersten Sponsor der olympischen Vereinigung. 1949 schrieb sich das IOC in seine Charta, die Ringe dürften nicht für kommerzielle Zwecke Verwendung finden. Ein halbes Jahrhundert danach erwirtschaftet das Ringe-Unternehmen in seiner nun zu Ende gehenden Kommerz-Olympiade 2009 bis 2012 einen Umsatzrekord von weit über sieben Milliarden Dollar (5,4 Milliarden Euro). Ringe und „Coca-Cola“ nehmen in der Weltrangliste der bekanntesten Marken längst einen Spitzenplatz ein.

Zur 150. Wiederkehr des Geburtstags von Coubertin am 1. Januar sagt Norbert Müller: „Wenn er von dieser Entwicklung wüsste, er würde sich im Grabe umdrehen, es ist die Perversion seiner Idee.“ Der Mainzer Professor, der 30 Jahre am Leben des berühmten Franzosen geforscht und dessen Originaltexte auf 18 500 Druckseiten dokumentiert hat, sagt aber auch: Es gibt nicht nur den großen Stifter, Idealisten und Ideengeber, durch dessen Initiative die Olympischen Spiele 1894 neu gegründet worden sind. Es gibt auch den Pragmatiker und Netzwerker und den Mann großer Irrtümer - alles in seiner Zeit.

Mit Bestimmtheit sagt Müller: „Ohne Coubertin hätte es die Olympischen Spiele nicht gegeben.“ Wenn das so ist, dann verantwortet der Franzose in gewisser Weise die Strahlkraft und die Problematik von bisher 30 Sommerspielen und 21 Winterspielen dazu, obwohl er ein Gegner war von olympischem Wettstreit auf Eis und Schnee. Der Pädagoge, Historiker und Freund der schönen Künste habe, so Müller, „eine Sportidee mit einer Weltidee und einer Friedensidee verbunden“. Man kann das mit den heutigen Begrifflichkeiten Globalisierung, Nord-Süd-Dialog, friedliche Koexistenz über alle Völker hinweg, Bildung durch Sport, Fairplay und auch Lust an der Leistung umschreiben.

Der aus dem griechischen Altertum abgeleitete große Irrtum, dass die Frauen aus olympischen Arenen herauszuhalten seien, konnte der Franzose nur für die Gründerzeit durchsetzen. Müller nennt das den Coubertinschen „Männlichkeitswahn“. Er feierte bei den Nazi-Spielen in Berlin 1936 mit lediglich 328 Frauen unter 4218 Teilnehmern eine letzte Bestätigung. Zum Wohlgefallen von Coubertin, der die pompösen, völkisch geprägten Spiele vereinsamt, verarmt und krank ein Jahr vor seinem Tod aus der Schweizer Entfernung verfolgte. In einem Gratulationsschreiben nach Berlin bedankte er sich beim „Volk und seinem Führer“, die Spiele seien zu einer großen Verwirklichung seiner Ideen geworden.

Manches, was Coubertin zugesprochen wird, wie die Aussage „Dabei sein ist wichtiger als Siegen“ oder der Sinnspruch „Citius, Altius, Fortius“ (Schneller, Höher, Stärker), hat er nicht erfunden. Es sind Adaptionen von befreundeten Zeitgenossen. Die Frage von Amateurismus und Professionalismus sei für Coubertin, so Müller, nur ein „Sekundärproblem“ gewesen, das eine Beantwortung gefunden habe in der Auseinandersetzungen mit seinem intellektuellen Umfeld. Der „wahre Amateur“ zeichne sich in erster Linie durch seine Gesinnung aus, hat es Coubertin beschrieben. Wie viele seiner Nachfolger als IOC-Präsident hing er dem Irrtum an, man könnte Sport von Politik trennen. Die Spiele von Berlin waren ein einziger Gegenbeweis.

Was würde Coubertin tun, wenn er im September kommenden Jahres zu seinem siebten Nachfolger gewählt werden würde? Professor Müller: „Er würde sagen, wir müssen die Werte wieder in den Vordergrund stellen, wenn wir überleben wollen.“ Eine Art „Club of Rome“ müsste her mit Kapazitäten wie dem Schweizer Theologen und Gründer der Stiftung Weltethos, Hans Küng, und dem deutschen Philosophen Hans Lenk, um intensiv über die olympische Zukunft nachzudenken. Und was würde Coubertin anstellen mit einem IOC, das seine Werte immer mehr ökonomisiert hat und vor allem als Vermarkter seiner Spiele in Erscheinung tritt? Müller: „Als Pragmatiker würde er sagen: Mit dem Geld müssen wir nur Gutes tun.“

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