Renate Lingor: Das beste Team, das wir je hatten

Frankfurt/Main (dpa) - Bei den WM-Triumphen 2003 und 2007 war Renate Lingor Deutschlands Regisseurin. „Weiße Brasilianerin“ wurde sie auch genannt.

Seit ihrem Karriereende 2008 wirbelt sie als WM-Botschafterin, kümmerte sich beim Organisationskomitee um die Trainingsplätze der Turnier-Teams und ist als ZDF-Expertin im Einsatz. Nach der WM wechselt die 35-Jährige beim DFB in die neue Mädchen- und Frauenfußball-Abteilung unter Direktorin Steffi Jones. Wenn sie dieser Tage ausnahmsweise mal frei hat, sieht man sie mit Top und Cap im Sonnenstuhl der VIP-Dachterrasse der Frankfurter Fanmeile beim Public Viewing.

Warum sie das deutsche Team für das beste hält, das es je gab, und was sie von der Diskussion um Birgit Prinz hält, erzählt die Wahl-Frankfurterin im dpa-Interview.

Wie beurteilen Sie den WM-Hype und die große Medienresonanz?

Lingor: „Man träumt ja ein bisschen und hofft, dass es so kommt. Wenn man die Zeitungen aufschlägt, sieht man mindestens eine Seite über die Weltmeisterschaft in den verschiedensten Facetten. Was auch schön ist: Dass viel über den Sport berichtet wird, übers Fußballspiel an sich. Das wollten wir eigentlich schon immer: Dass der Sport anerkannt wird - dass er kritisiert wird, aber auch gelobt wird.“

Ist es die beste Mannschaft, die der Deutsche Fußball-Bund je hatte?

Lingor: „Das sagen die Spielerinnen, ich auch. Hmm, macht mich das traurig? Ich fand, wir haben auch ein tolles Team gehabt - speziell 2003. Es ist sicher eine noch ausgeglichenere Mannschaft: Es sind so viele Spielerinnen auf der Bank, die nahtlos von Anfang an spielen können. Und das Ding verändert sich nicht, das funktioniert einfach. Und wir haben so viele Junge, die schon richtig erfahren sind. Was auch unsere Junioren-Teams ausmacht. Die haben alle schon in den U-Mannschaften gespielt. Das war zu meiner Zeit nicht so. Heute lernt man dieses System, wie wir Deutschen spielen wollen, von klein auf.“

Kim Kulig und Simone Laudehr haben im Mittelfeld bisher überzeugt. Aber fehlt nicht eine Lenkerin und Denkerin - wie Sie es waren?

Lingor: „Würde ich nicht sagen. "Simon" ist ein bisschen eine andere Spielerin als ich, sie ist mehr am Ball. Ich war eher eine, die die anderen eingesetzt hat. Aber da kommt Kim noch hin. Die ist noch sehr jung, das darf man nicht vergessen. Die fängt jetzt erst an, groß zu werden, dabei ist sie schon eine Große. Gerade die Sachen, die ich auch erst mit dem Alter gelernt habe, diese Bälle in die Tiefe, da sieht man bei ihr schon die Ansätze.“

Wie beurteilen sie die Diskussion um Birgit Prinz auf der Ersatzbank?

Lingor: „Birgit ist schon immer ein sehr ehrgeiziger Mensch gewesen, mit sich selber sehr kritisch. Sonst hätte sie es auch nicht so weit gebracht - zur Weltfußballerin mit so einer tollen Karriere. Das war eine Entscheidung zwischen ihr und der Trainerin, sie ist immerhin Captain und sehr wichtig für die Mannschaft und den gesamten Frauenfußball.“

Die DFB-Elf steht zwar als Gruppenerster im Viertelfinale, hat aber auch schon Schwächen offenbart. Ist sie noch der WM-Topfavorit?

Lingor: „Jetzt haben sie sich ein bisschen freigeschossen. Im eigenen Land vor vollem Haus zu spielen, dieser Lärmpegel - daran mussten sie sich erstmal gewöhnen. Aber sie haben eigentlich alles richtig gemacht: Haben im ersten Spiel ein Gegentor bekommen - damit war die Frage mit der Nadine Angerer vom Tisch, wie lange sie zu null spielt. Sie haben ein schweres Spiel gegen Nigeria gemacht, wo sie nicht so aufspielen konnten. Zuletzt haben sie zwei fast identische Tore aus Standards bekommen und wissen nun, dass sie da aufpassen müssen. Sie haben alles durchlebt in den ersten Spielen und können nun frei aufspielen. Ich möchte die Mannschaft hier am Ende in Frankfurt im Finale sehen.“

Wer ist aus Ihrer Sicht bisher die beste Spielerin der WM?

Lingor: „Ich sehe noch keinen richtigen Star. Auch nicht Marta. Die war zwar im zweiten Spiel ganz in Ordnung, es blitzt mal auf, aber als fünffache Weltfußballerin kann man noch mehr erwarten. Ansonsten sieht man, dass es immer wieder neue Torschützen in den Teams gibt und dass die Spielerinnen inzwischen einfach ausgeglichener sind.“

Sie haben 2008 aufgehört - ärgert man sich bei so einer WM im eigenen Land nun, dass man nicht drei Jahre später geboren wurde?

Lingor: „Nee, das passt. Ich nehme hier ganz viel mit. Ich mache tolle Erfahrungen, ich wirke bei der Organisation mit und schaue hinter die Kulissen des Fernsehens. Ich habe vorher gedacht, dass es schlimmer würde und auf der Tribüne zuckt. Aber ich bin recht relaxt, ich hab' zwar hin und wieder Gänsehaut, gerade wenn die Zuschauer so mitgehen. Aber ich hab' damit sehr gut abgeschlossen. Ich bin total stolz, dass ich dabei geblieben und noch nah an der Mannschaft bin.“

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