Serie : So funktionieren Patchworkfamilien
Düsseldorf Patchwork ist nie das Idealbild, sondern immer Plan B. Trotzdem steigt der Anteil – wie sehr, weiß keiner genau, da diese Familien nicht erfasst werden.
Vater, Mutter, ein Trauschein und zwei Kinder – so sah über mehrere Jahrzehnte das Ideal- und Normalbild einer deutschen Familie aus. Inzwischen steigt jedoch der Anteil von Menschen, die ganz anders leben – und von Kindern, die ganz anders groß werden. Mit Stiefeltern und -geschwistern, Halbgeschwistern, Adoptiveltern und -geschwistern, zwei Papas oder zwei Mamas. Ist die Patchwork-Familie die neue „Normalfamilie“? Und wie kann sie gelingen? Diese Fragen beleuchten wir in den kommenden Wochen in unserer Serie.
„Es ist normal geworden“, glaubt Ulric Ritzer-Sachs von der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. „Nahezu die Hälfte aller Eltern trennt sich. Das muss man nicht gut finden – aber es ist so.“ Es ist eines der großen Probleme der Patchwork-Familie: Sie ist kein Lebensentwurf, sondern Produkt des Scheiterns eines Lebensentwurfs. „Keiner plant: Ich werde eine Patchwork-Familie“, erklärt Ritzer-Sachs. „Das ist in uns verankert.“ Wir wünschen uns eine funktionierende Partnerschaft und Familie – die Patchwork-Familie erwächst also erst in zweiter Linie aus „mit der größten Krise, die Erwachsene haben“, so Ritzer-Sachs: der Trennung.
Insgesamt ist in NRW der Anteil der Familien mit Kindern unter 18 über die Jahrzehnte zurückgegangen – von 2,430 Millionen auf 1,997 Millionen zwischen 1976 und 2000, noch einmal auf 1,794 Millionen im vergangenen Jahr. Ebenfalls der Anteil der Familien mit zwei zusammenlebenden Elternteilen: von 2,232 auf zuletzt 1,467 Millionen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Familien mit alleinerziehenden Müttern (172 000 auf 289 000) oder Vätern (26 000 auf 38 000). Im vergangenen Jahr lebten in Nordrhein-Westfalen insgesamt 215 000 Kinder in nichtehelichen oder gleichgeschlechten Lebensgemeinschaften, weitere 470 000 bei alleinerziehenden Eltern. Daten über Stiefeltern und -kindern liegen bei IT NRW nicht vor – nur so viel: 500 Kinder im Bundesland wurden 2010 durch Stiefvater oder -mutter adoptiert. Auch da liegt eine der Schwierigkeiten der Patchwork-Familie: Sie ist kaum statistisch messbar.
„Es wird weniger geheiratet, es werden weniger Kinder geboren und die Vielfalt an Lebensformen hat zugenommen. Mancher sieht da das Ende der Familie gekommen“, schreibt Norbert F. Schneider, Soziologe und Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) in einer Broschüre der Bundeszentrale für politische Bildung. „Doch ein Blick in die Historie der Familie zeigt, dass es Wandel und Vielfalt schon immer gab. Die Pluralität von Familie ist nicht ihr Ende, sondern die Voraussetzung für ihr Überleben.“ Die Dominanz der bürgerlichen Kleinfamilie gelte im Grunde nur für Westdeutschland zwischen 1955 und 1975 – ansonsten sei die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen eines der Hauptmerkmale der Familie über die Jahrhunderte.
Wie das BiB in einer Erhebung 2012 herausgefunden hat, ist für viele Menschen entscheidend für die Definition einer Familie, dass Kinder vorhanden sind. Alle Lebensformen mit Kindern wurden von jeweils über 80 Prozent der Befragten als Familie bezeichnet – eine vergleichsweise geringe Bedeutung hingegen hatten Faktoren wie Ehe oder, ob es sich um hetero- oder homosexuelle Beziehung handelt. Und: Die Familie als solche genießt laut Schneider noch immer eine hohe Wertschätzung. Die allgemeine Lebenszufriedenheit sei hauptsächlich durch die Zufriedenheit mit dem eigenen Familienleben bestimmt. „Daher geben die gegenwärtigen Entwicklungen der Familie, insbesondere auch die sich ausbreitende Vielfalt der Familienformen und des Familienlebens, keinen Anlass zu Krisenszenarien.“