Bundestagswahl Wann Wahlkampf in Sozialen Medien zur Gefahr für die Demokratie wird

Politikberater Martin Fuchs spricht im WZ-Interview über Zielgruppen-Wahlkampf, die Macht der Sozialen Medien und die Bedeutung von Hackern.

Düsseldorf. Die FDP lädt nach dem Brexit mit einem Plakatwagen Start-ups in London nach Berlin ein — und landet mit Fotos davon einen Internet-Hit. Ein lässiger Brexit-Tweet des Auswärtigen Amtes erzielt eine Millionen-Reichweite. Digitale Kommunikation ist längst fester Bestandteil der Politik geworden. Der Hamburger Politikberater und Blogger Martin Fuchs ordnet ihre Bedeutung für den bevorstehenden Wahlkampf ein.

Bundestagswahl: Wann Wahlkampf in Sozialen Medien zur Gefahr für die Demokratie wird
Foto: WZ

Herr Fuchs, wird der Bundestagswahlkampf langweilig oder nicht?

Martin Fuchs (lacht): Ich glaube, es wird einer der spannendsten Wahlkämpfe der vergangenen zwölf Jahre. Gerade weil es mit der SPD eine Partei gibt, die zumindest theoretisch noch die Chance hätte, den Bundeskanzler zu stellen. Von daher ist die CDU gezwungen, mehr zu zeigen und aktiver zu werden als in den vergangenen Wahlkämpfen. Und mit Blick auf die kleinen Parteien werden wir den größten und buntesten Bundestag aller Zeiten erleben mit höchstwahrscheinlich sieben Parteien.

In NRW haben Herr Lindner und die FDP gerade neue Maßstäbe im Wahlkampf gesetzt. Kann man Personalisierung auch überdrehen?

Fuchs: Für die FDP ist es der einzige Weg gewesen, überhaupt noch wahrgenommen zu werden: mit einer starken Persönlichkeit wie Christian Lindner, die sehr gut funktioniert, sehr telegen und schlagfertig ist und sich auch im Digitalen gut vermarkten lässt. Aber ich gebe Ihnen recht, dass das Rad schon sehr weit überdreht ist. Ich glaube, die FDP hat inzwischen gemerkt, dass die Zuspitzung auf diese eine Person auch Nachteile bergen kann. Deshalb versucht sie jetzt,weitere Köpfe zu etablieren.

Wie kampagnentauglich sind Angela Merkel und Martin Schulz?

Fuchs: Für ihre jeweiligen Parteien und Themen sind die beiden auf jeden Fall kampagnentauglich. Aber viel wichtiger ist, ob die beiden Organisationen hinter ihnen fit und eingespielt sind. Und da habe ich mit Blick auf die SPD Bauchschmerzen. Sowohl Steinmeier als auch Steinbrück waren in der Bevölkerung sehr beliebt, aber die Partei hat es nicht geschafft, diese Potenziale zu heben. Und ein bisschen sieht das auch jetzt so aus. Die für den Wahlkampf verantwortliche Generalsekretärin Katarina Barley ist weg, jetzt ist mit Hubertus Heil ein neuer Generalsekretär gekommen und es gibt verschiedene Lager im Willy-Brandt-Haus. Daher wird die Anbindung des Kandidaten an die Partei und die Maschinerie die eigentliche Herausforderung sein.

Sie sagen, es gibt keinen Online-Wahlkampf. Was meinen Sie damit?

Fuchs: In Zeiten, in denen knapp 70 Prozent der Bevölkerung das Internet über mobile Endgeräte nutzen und wir gar nicht mehr entscheiden können, ob wir etwas digital oder analog tun, weil beide Welten schon sehr stark verschmolzen sind, gibt es keine Trennung mehr. Soziale Medien und andere digitale Instrumente sind immer nur Teil einer Gesamtkampagne. Wenn ich draußen Haustürwahlkampf mache, investiere ich vielleicht drei Stunden und erreiche 30 Menschen. Schlauer wäre es, diesen Wahlkampf in Echtzeit mit Livebildern auch online zu spielen. Und umgekehrt sollte ich bei möglichst allen Onlineaktivitäten auf analoge Ereignisse hinweisen, um die Menschen zu mobilisieren und für etwas zu begeistern.

Sie verfolgen die Entwicklungen in den Sozialen Medien intensiv. Überschätzen wir die Wirkung von Hasskommentaren?

Fuchs: Hasskommentare sind ein Problem, aber nicht der entscheidende Punkt. Wie viele der 70 Millionen Internetnutzer haben wirklich schon einmal persönlich mit Hasskommentaren zu tun gehabt? Das ist ein verschwindend geringer Teil. Nichtsdestotrotz gibt es Personengruppen wie Spitzenpolitiker oder feministische Bloggerinnen, die immer wieder Ziel von Hasskommentaren werden. Für sie ist das ein sehr gravierendes Problem, aber für die Masse nicht.

Ein Trend im Wahlkampf ist die Nutzung von Messengerdiensten und gruppenbezogenen Postings. Mit welchen Folgen?

Fuchs: Grundsätzlich ist die Möglichkeit einer zielgruppengenauen Ansprache von Wählern ein Geschenk für jede Partei. Aber wenn Parteien zielgenau und damit auch intransparent Werbung schalten, kann das zur Gefahr für die Demokratie werden. Weil Journalisten und politische Analysten nicht mehr verfolgen können, mit welchen Themen und Zuspitzungen einzelne Zielgruppen angesprochen und im schlimmsten Fall gegeneinander aufgehetzt werden. Darüber brauchen wir eine breite Diskussion, die es bisher in Deutschland noch nicht gibt: Wie transparent sollte Onlinewerbung sein? Das gilt für die Politik wie für die Wirtschaft.

Eine Partei könnte eine Zielgruppe umwerben, ohne dass eine andere Gruppe, der das womöglich nicht passt, das überhaupt mitbekommt?

Fuchs: Das ist definitiv eine der größten Gefahren, die ich sehe. Ob sich die Parteien das in dieser Konsequenz trauen, weiß ich nicht, weil es natürlich Menschen geben kann, die das dann öffentlich machen. Aber zumindest könnten so andere Tonalitäten und Schwerpunktsetzungen erfolgen. Am Ende gibt es keinen digitalen Raum mehr, in dem alle miteinander reden, sondern die Kommunikation erfolgt nur noch in abgeschotteten Welten. Und das funktioniert in einer komplexen Gesellschaft wie in Deutschland auf Dauer nicht.

Aber trifft der Vorwurf, dass sich die Menschen heute nur noch in ihren eigenen Blasen bewegen, wirklich zu? Wir haben doch immer schon Sendungen und Zeitungen nach unserem Geschmack ausgesucht.

Fuchs: Natürlich gab es das auch schon lange vor dem Internet. Allerdings verstärken die digitalen Plattformen diesen Effekt noch, weil man die Themen viel individueller zusammenstellen kann. Auch in einer Zeitung, die meinen Grundüberzeugungen entspricht, stoße ich immer wieder auf Themen, mit denen ich mich sonst nicht beschäftigt hätte. Die aktuellste Studie dazu zeigt allerdings, dass die Angst vor den Themenblasen überhöht ist. Das hat auch damit zu tun, dass es in Deutschland relativ wenige Menschen gibt, die sich ausschließlich über die Sozialen Medien informieren.

Aber der AfD scheint es zu reichen, sich in der eigenen Blase zu bewegen.

Fuchs: Das sehe ich bei dieser Partei definitiv so. Sie hat eine klare Zielgruppe und möchte jedenfalls im aktuellen Stadium keine Volkspartei werden. Darum reicht es ihr, vier bis fünf Millionen Deutsche zu erreichen, und das schafft sie über die Sozialen Medien. Damit macht sich die AfD komplett unabhängig von einer kritischen Berichterstattung.

Haben Facebook und Google Einfluss auf unser Wahlverhalten?

Fuchs: Die Netzwerke bestreiten das natürlich. Aber das passiert über jeden Algorithmus, der Themen priorisiert, und auch über das Design. All das hat Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung. Ich unterstelle nicht, dass damit politische Ziele verfolgt werden, aber der Einfluss besteht. Dass er entscheidend und für oder gegen irgendeine Ideologie ist, so weit würde ich nicht gehen.

Welche Rolle spielen Fake News?

Fuchs: Für den Bundestagswahlkampf sind sie kein Drohszenario. Natürlich können Fake News dazu führen, dass sich bestimmte Weltbilder verfestigen und Themen skandalisiert werden. Aber die Parteien und auch wir als Gesellschaft haben durch den US-Wahlkampf dazugelernt. Es gibt Journalisten und gesellschaftliche Initiativen, die sich damit befassen. Daher glaube ich, dass das Thema so eingehegt werden kann, dass es keine große Gefahr ist.

Im US-Wahlkampf hatten Hacker großen Einfluss.

Fuchs: Ich bin sicher, dass uns im Bundestagswahlkampf die Daten des Bundestags-Hacks vor zweieinhalb Jahren wieder begegnen werden. Wie und von wem sie aufbereitet sind, wage ich nicht zu vermuten. Wir werden Leaks erleben, die gar nicht von Hackern stammen müssen, sondern oft auch von der eigenen Partei durchgestochen werden. Es wäre schön, wenn es dann in den Redaktionen eine Routine gibt, wie man mit diesen Daten umgeht, indem man überlegt, welchen Effekt sie haben und wem sie schaden sollen.

Justizminister Heiko Maas hat die Parteien aufgerufen, auf Social Bots, also maschinell erzeugte Internetäußerungen, zu verzichten. Ist das realistisch?

Fuchs: Es gibt schon eine Absprache der großen Parteien, darauf verzichten zu wollen. Daher war das eine Sonntagsrede von Herrn Maas, die außerhalb der Parteien null Effekte haben wird. Jeder anderen Gruppe ist das komplett egal, weil sie genau weiß, dass man den Einsatz kaum nachweisen kann.

Welchen Umgang mit politischen Online-Aktivitäten wünschen Sie sich von Journalisten?

Fuchs: Dass nicht immer nur die extremen Diskurse herausgegriffen werden, sondern auch die erkenntnisreichen. Gerade die AfD weiß, wie sie provozieren kann. Da sollte man auch mal durchatmen, die Ruhe bewahren und das Thema nicht ins Blatt heben.

Und welche Art von Online-Aktivitäten wünschen Sie sich von Politikern?

Fuchs: Das Allerwichtigste ist, dass sie Soziale Medien nicht nur im Wahlkampf nutzen. Mein zweiter Wunsch wäre, dass Politiker den digitalen Rückkanal nicht nur haben, sondern das Feedback auch nutzen. Und es wäre schön, wenn sie nicht auf ihren eigenen Profilen verharren, sondern sich auch in schon vorhandenen Gruppen der Diskussion stellen.

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