Kirchentag: Protestantisches Puzzle

Dresden. Man kann wie die Veranstalter versuchen, dem Kirchentag einen roten Faden zu verpassen: durch das Leitwort, durch die drei Themenbereiche "Theologie und Glaube", "Gesellschaft und Politik" und "Welt und Umwelt".

Oder man versteht die Mammutveranstaltung eher als eine Art protestantisches Puzzle.

Die ersten Stücke habe ich gefunden, so recht zueinander passen wollen sie noch nicht. Zum Beispiel die Erkenntnis, dass auch Christen Probleme mit der Stille haben. Einfach mal den Mund halten, wenn es angezeigt ist, das hat beim Abendsegen zum Abschluss des Abends der Begegnung nicht wirklich funktioniert. Die Anfänge der Komposition "Da wird auch dein Herz sein" von Sven Helbig gehen im allgemeinen Geplapper entlang der Elbe unter.

Erst am rechten Elbufer setzt sich die Lautsprecherübertragung des sphärischen Gesangs mühsam gegen die überflüssige Mitteilsamkeit der Kirchentagsbesucher durch. Aber als dann 20.000 Lichter auf der Elbe vorbeitreiben, findet der Abend doch noch einen bewegenden Ausklang. So bewegend wie der Auftakt des Himmelfahrtstages in der Gastfamilie.

Drei Kinder und drei Erwachsene versammeln sich am frühen Morgen vor der Abfahrt in die Dresdner Innenstadt auf dem Boden liegend um ein Kinderbett, unter dem die Hauskatze gerade ihr Junges zur Welt bringt. Was hätten wohl die verhärmten und giftigen Gestalten in der S-Bahn dazu gesagt, die offenbar einen Adressaten für ihren Lebensfrust suchen? "Kirchen gehören verboten", blafft ein Eiferer die Kirchentagsfahrgäste an.

"Da bin ich gleich bei Ihnen", erhält er sofort Unterstützung von einem Mann gegenüber. Davon ermutigt, werden die Thesen des Stänkerers immer steiler. Sie münden darin, dass "Christen dasselbe wie Nazis" seien. Da ist dann selbst die Diskussionsbereitschaft der älteren Damen am Ende, denen die Verbalattacken gelten. Aber vielleicht hat der Religionspädagoge und Kirchentagsstar Fulbert Steffensky ja auch an solche Figuren gedacht, als er in seiner Bibelarbeit zur Bergpredigt ("Selig sind, die geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich") sagt: "Gott hat Lieblingskinder, es sind die Armen. Sie werden nicht selig gepriesen, weil sie besser sind als andere; nicht weil sie frömmer, sondern weil sie arm sind. Viele sind zu arm, um gütig zu sein. Sie sind zu arm, um fromm zu sein."

Und dann ist da noch die Neigung von Kirchentagsbesuchern, alles zum Besten wenden zu wollen. Die Diskussion zur Integration mit Bundespräsident Wulff klingt noch in den Ohren nach, da fällt der Blick auf die Kirchentagsfahne auf der Kuppel der vermeintlichen Moschee. Ach wie schön - im Dutzend werden die Fotoapparate gezuckt. Allein: Das orientalisch wirkende Gebäude war nie eine Moschee, sondern eine Zigarettenfabrik, die heute als Bürogebäude dient. Nicht alles auf einem Kirchentag löst sich in Wohlgefallen auf.

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