Physiker: Goldsucher in den Weiten des Weltraums

Wie die Physiker Karl-Heinz Kampert und Klaus Helbing mit Kollegen aus aller Welt die kosmische Strahlung erforschen.

Wuppertal. Im Grunde sind Klaus Helbing, Karl-Heinz Kampert und ihre Physiker-Kollegen so etwas wie moderne Goldsucher. Die klassischen Vertreter saßen einst an den Ufern des Yukon und siebten mit ihren Pfannen den Uferschlamm — in der Hoffnung, dass ihnen zwischen Tonnen von Dreck irgendwann die Goldkörnchen in die Hände fallen würden. Bei Helbing und Kampert ist es ähnlich — nur, dass ihr Yukon der unendliche Kosmos ist. Und ihre Nuggets sind so klein, dass kein Mikroskop sie finden könnte.

Helbing und Kampert sind Astroteilchenphysiker an der Uni Wuppertal und erforschen eines der ungelösten Rätsel der Physik: die kosmische Strahlung. Vor 100 Jahren entdeckt, ist sie der Fachwelt immer noch ein Rätsel: „Jede Sekunde werden wir von etwa 100 Teilchen aus dem All durchströmt“, sagt Karl-Heinz Kampert, „aber man weiß nicht, woher sie kommen.“

Um das zu ändern, haben sich Forscher aus der ganzen Welt in zwei Groß-Experimenten zusammengetan: IceCube und Pierre Auger. Bei beiden sind Wuppertaler Physiker federführend dabei — Helbing bei IceCube am Südpol, Kampert als Leiter des Pierre-Auger-Observatoriums in der argentinischen Pampa. Beide Experimente verfolgen ein ähnliches Ziel: mit Sensor-Technik den kosmischen Teilchenregen beim Aufprall auf die Erde im großen Stil zu beobachten.

Die Fakten: Bei IceCube haben 350 Forscher aus aller Welt etwa 6000 basketballgroße, vernetzte optische Sensor-Kugeln in bis zu 2,5 Kilometern Tiefe im Eis der Antarktis versenkt. Das Sensornetz durchleuchtet einen Kubikkilometer Eis — und kann so Neutrinos, energiegeladene Langstreckenläufer aus den Tiefen des Alls, in den Blick nehmen und ihren Ursprung rekonstruieren.

Bei Pierre Auger sind 500 Forscher aus 19 Ländern unter Kamperts Leitung beteiligt. Sie haben in Argentinien auf einer 3000 Quadratkilometer großen Fläche 1600 Wasserbehälter und 27 Teleskope aufgestellt. Sie fangen sogenannte Lichtschauer auf, die entstehen, wenn hochenergetische Teilchen aus dem All auf die Erdatmosphäre treffen — und dort Reaktionen auslösen, bei denen Milliarden von Teilchen in Bewegung kommen. Sie machen Rückschlüsse auf Quelle und Beschaffenheit der kosmischen Strahlung möglich.

Beide Experimente erstrecken sich, inklusive Vorbereitung, über gut 20 Jahre. Etwa bis zum Ende des Jahrzehnts werden sie Daten liefern, die an der Bergischen Uni von Kampert, Helbing und ihren Mitarbeitern ausgewertet werden. Um der großen Datenmenge beizukommen, haben die Uni-Physiker sogar einen neuen Großrechner beantragt.

Erste Ergebnisse gibt es bereits — mittlere Sensationen in Fachkreisen. So konnten bei Pierre Auger Schwarze Löcher aus Nachbargalaxien als die wahrscheinlichsten Quellen der kosmischen Strahlung lokalisiert werden — sie mit ihren unvorstellbaren Anziehungskräften wären eine plausible Quelle für Teilchen, die 100 Millionen mal stärker geladen sind als alles, was die größten von Menschen gebauten Teilchenbeschleuniger erzeugen können. IceCube hat derweil jüngst eine Theorie aus den 80er Jahren zur Ursache der kosmischen Strahlung widerlegt.

Und was kommt noch? Karl-Heinz Kampert will bis 2025 die Quelle der kosmischen Strahlung hundertprozentig dingfest gemacht haben. Helbing hofft, dass IceCube bisher nur theoretisch angenommene kosmische Teilchen-Arten ins Sensor-Netz gehen könnten. Beide planen mit ihren Kollegen zudem neue Experimente, die zehnmal so groß sind wie IceCube und Pierre Auger. Um im Goldsucher-Bild zu bleiben: Weil der kosmische Yukon unendlich ist, kann eine größere Pfanne nicht schaden.

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