Wladimir Kaminer: „Russen sind Protesttrinker“

Die „Russendisko“ hat ihn berühmt gemacht, morgen liest Wladimir Kaminer in der Kufa. Mit der WZ spricht er über Alkohol, Frauen und deutsch-russische Klischees.

Krefeld. Dass Sie Autor sind, ist wohlbekannt. Doch Sie sind auch Veranstalter und schmeißen regelmäßig Partys unter dem Motto ihres Erfolgsromans "Russendisko". Wie feiern Russen im Gegensatz zu Deutschen?

Wladmir Kaminer: Die meisten Leute gehen ja in die Disko, um jemanden kennenzulernen. Wahrscheinlich weil sie unfähig sind, im Alltagsleben Kontakte zu knüpfen, weil sie sich nicht zutrauen, etwas Gescheites zu sagen, oder weil sie Probleme mit ihrem Äußeren haben. Und in der Disko ist es dunkel, es läuft laute Musik. So kann man dort viel einfacher jemanden kennenlernen, ohne etwas zu sagen. Man muss nur ein bisschen mit der Hüfte wackeln. Und die Russen geben sich in dieser Hinsicht viel mehr Mühe.

Kaminer: Bei Deutschen weiß man überhaupt nicht, was sie wollen. Sie wissen das anscheinend selbst nicht. Wenn Russen jemanden kennenlernen wollen, dann geben sie richtig Gas. Deutsche sitzen stundenlang herum und starren Frauen an. Anfangs habe ich gedacht, bei diesen erbärmlichen Flirtern handele es sich um Mitarbeiter des Finanzamts, die am Eingang alle Mädels zusammenzählen, um den gesetzestreuen Geldverkehr zu kontrollieren.

Kaminer: In einer Bar. Sie hat dort hinter dem Tresen gearbeitet. Ich war der Gast und sie die Wirtin. Und sie hat mir ganz tolle Cocktails gemischt. So haben wir uns kennengelernt.

Kaminer: Ja, das kann man wohl sagen. Aber natürlich hat mich in erster Linie ihre Ausstrahlung beeindruckt. Die Cocktails haben auch ihren Teil dazu beigetragen.

Kaminer: Ganz einfach: Wir Russen sind schwermütig und trinken viel Wodka. Ich kann auch nicht behaupten, dass das nicht stimmt. Wir wollten dieses Klischee nicht vernichten, sondern vervielfältigen. Nicht alle Russen haben schlechte Laune und besaufen sich mit Wodka. Es gibt auch Russen wie mich, die lieber Wein trinken und eher optimistisch durch die Welt laufen. Es hat keinen Sinn gegen die Klischees zu kämpfen, weil die Menschen Bilder brauchen, um eine Orientierung in diesem bunten Leben zu haben. Deswegen brauchen wir mehr farbige Klischees.

Kaminer: Da ist etwas dran. Russen sind Protesttrinker, Widerstandssäufer. Wodka ist ja kein Getränk zum Genießen, sondern zum schnell Runterkippen. Sie geben sich keine Mühe bei der Erschaffung der alkoholischen Getränke. Winzer achten genau darauf, welche Traube sie auf welchem Boden kultivieren. Selbst die Amerikaner graben ihre Whiskeyfässer ein und schauen, was passiert. Und Wodka hat nur drei Eigenschaften: Er soll nach nichts schmecken, nicht riechen und schnell betrunken machen.

Kaminer: Das stimmt hundertprozentig. Wenn wir Gäste haben, dann sind das immer sehr viele. Alles wird auf den Tisch gestellt, was im Hause ist. Es darf auch niemand gehen, bevor die letzte Flasche geleert ist. Das ist ein Aberglaube bei uns.

Kaminer: Das stimmt. Sie vergraben ihre Schätze nicht. Wenn sie nicht gerade korrupte Beamte in der Regierung sind, zeigen sie, was sie haben. Schließlich wollen sie im Hier und Jetzt leben und nicht wie viele Deutsche denken: Was kann passieren, wenn ich in fünf Jahren nur noch die Hälfte habe?

Kaminer: Ich weiß nicht. Ich schätze vor allem die Großzügigkeit. Das ist eine der besten menschlichen Eigenschaften. Es steht schon in der Bibel: Gib und dann wird dir gegeben.

Kaminer: Das ist absolut falsch. Niemand ist unempfindlich gegen Kälte. Und die Russen leiden genauso - wenn nicht mehr - unter den schlechten Wetterbedingungen. Die Sehnsucht der Russen nach dem Frühling können Afrikaner bestimmt nicht nachempfinden.

Kaminer: Russische Frauen haben tatsächlich eine Besonderheit: ihren Charakter, der in den turbulenten Jahrhunderten der russischen Geschichte entstanden ist. Ich schätze russische Frauen sehr. Denn Männer auf der ganzen Welt beschweren sich über alles. Die russischen Frauen hingegen sind gleichzeitig zärtlich und sehr hart. Sie beschweren sich nie.

Kaminer: Also, wenn ich jetzt an mich und meine Freunde denke, dann trifft das schon zu. Aber grundsätzlich würde ich das nicht behaupten...

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