Psychosoziale Hilfe: Keine Berührungsängste

Eva Staudacher hat vor 25 Jahren den Verein gegründet. Anderen zu helfen, ist ihre Lebensaufgabe.

Psychosoziale Hilfe: Keine Berührungsängste
Foto: Bischof, Andreas (abi)

Krefeld. Das Who ist Who der Krefelder Jugend- und Sozialarbeit ist in ihrem großen Telefonregister und einem Karteikasten akribisch aufgelistet. „Ich kann nicht allen Leuten helfen, aber ich kann Hilfe vermitteln“, sieht es Eva Staudacher pragmatisch. Und das tut die engagierte Sozialdemokratin heute noch im Alter von 81 Jahren. Um sich mehr um ihren erkrankten Mann Gerd kümmern zu können, hat sie vor kurzem nach 25 Jahren den Vorsitz des Vereins Psychosoziale Hilfe (PSH) abgegeben. Dennoch steht das Telefon bei ihr zu Hause während des fast zweistündigen Besuchs selten still.

„Sie ist mit ihrem sozialen Engagement in Krefeld einfach nicht wegzudenken — wir sind froh, dass wir sie von Anfang an an unserer Seite hatten“, sagte Karl-Wilhelm Schmid, stellvertretender Vorsitzender der PSH, bei ihrem Rücktritt. Er ist froh, dass sie dennoch als Beisitzerin und als Helferin in der Sonntagskaffeestube den Verein weiterhin unterstützt.

Karl-Wilhelm Schmid, stellvertretender Vorsitzender der Psychosozialen Hilfe

1963 tritt sie gemeinsam mit ihrem Mann in die SPD ein, acht Jahre später sitzt sie bereits als Bürgerschaftsmitglied im Schulausschuss, von 1975 bis 1999 ist sie im Rat. Sie engagiert sich politisch im Sozial- und Gesundheitsausschuss, dessen Vorsitz sie knapp 25 Jahre inne hat wie auch im Jugendhilfe- und Schulausschuss, im Arbeitskreis für Angelegenheiten ausländischer Mitbürger, im Kriminalpräventiven Rat, im Flüchtlingsrat, im Vertriebenen-, im Seniorenrat, in der Bezirksvertretung Oppum/Linn. Warum? Weil sie Langeweile hatte? „Nein“, sagt Eva Staudacher ruhig und überlegt.

Sie hat selber zahlreiche Höhen und Tiefen durchlebt. Als ältestes von fünf Geschwistern hat sie während Kriegs- und Nachkriegszeit gelernt, mit Schwierigkeiten fertig zu werden. „Mein Vater war nur selten da, meine Mutter häufig krank.“

Während ihre Brüder das Abitur machen dürfen, absolviert sie zunächst die Mittlere Reife am Ricarda-Huch-Gymnasium in Krefeld und im Anschluss die Höhere Handelsschule. Nach einer kaufmännischen Lehre geht sie für ein Jahr als Au-pair zu einer Familie nach England. Gleichzeitig auch eine „Bewährungsprobe“ für ihre Liebe zu dem jungen, in den Augen ihres Vaters nicht standesgemäßen Gerd Staudacher.

Inzwischen perfekt in Englisch, tritt sie nach ihrer Rückkehr von der Insel die Stelle der Sekretärin beim Technischen Direktor der Ford-Werke in Köln an. „Eine ganz tolle Stelle“, erinnert sie sich. 1956 heiratet sie ihre große Liebe Gerd Staudacher.

Berührungsängste mit Menschen hat sie nicht. Sie bekommt fünf Kinder, engagiert sich ehrenamtlich — und vom SPD-Vorsitzenden Willy Brandt begeistert — immer mehr auch in der Politik. Sie hört anderen zu, zeigt ihnen Wege auf. „ Doch gehen müssen sie die selber“, lautet ihr Credo. Diese Erkenntnis habe ihr die Mutter wie auch die evangelische Kirchengemeinde, in der sie bis heute Mitglied ist, schon früh mit auf den Weg gegeben.

Als ihr erster Sohn mit 18 Jahren psychisch erkrankt, erlebt sie die ganze Hilflosigkeit und Ohnmacht von Eltern, die nicht wissen, ob und was sie falsch gemacht haben — und wie sie helfen können. „In meiner Not habe ich bei der Telefonseelsorge angerufen“, erzählt sie offen. Es waren schwierige Jahre für die gesamte Familie, an deren Ende ihr Sohn mit nur 36 Jahren stirbt.

Doch Eva Staudacher wäre nicht Eva Staudacher, wenn sie nur tatenlos zugesehen hätte. Frei zugängliche, verständliche Informationen ebenso wie das Internet gab es damals noch nicht. Dafür aber andere betroffene Eltern und engagierte Fachleute. Mit denen gründet sie 1988 den Verein Psychosoziale Hilfe Krefeld. Gleichzeitig ist sie auch Vorsitzende des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. In dieser Funktion setzt sie sich für eine Förderung durch den Landschaftsverband ein.

Mit Unterstützung baut der Verein schrittweise aus der anfänglichen Sonntagskaffeestube in einem Ladenlokal an der St.-Anton-Straße zunächst eine Beratungs- und Kontaktstelle an der Wiedenhofstraße auf. Daraus entwickelt sich das Sozialpsychiatrische Zentrum mit den Angeboten „Ambulant Betreutes Wohnen“, Tagesstätte und Integrationsfachdienst an der Schwertstraße 135a.

„Insgesamt nutzen heute 70 bis 80 Besucher die verschiedenen Angebote, insgesamt hat der Verein Kontakte zu mehr als 1000 Psychiatrie-Erfahrenen und Angehörigen“, erzählt Eva Staudacher. Der aktuelle Flyer hängt bei ihr griffbereit an der Pin-Wand in der großen Wohnküche. Falls ein Anrufer Hilfe sucht.

Ob sie stolz auf das Geleistete ist? Die Frage verneint sie. Viel wichtiger sei ihr, vieles in ihrem Leben angestoßen zu haben. Sie gebe nicht so schnell auf und habe immer Bündnispartner gesucht, denn ein Einzelkämpfer ist sie nicht: „Wenn andere mithelfen, klappt es mit der Hilfe.“

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