LANDTAGSWAHL IN KREFELD Krefelds 64-Stimmen-Drama

Das spannendste Duell in NRW findet erst um 23.47 Uhr sein Ende. Winzen am Boden, Oellers feiert.

LANDTAGSWAHL IN KREFELD: Krefelds 64-Stimmen-Drama
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Benedikt Winzen soll die Zukunft der Krefelder SPD sein. Gerade 32 Jahre alt, ausgestattet mit der Verantwortung des Fraktionschefs einer Partei, die Entscheidungsmacht in Krefeld hat. Zum zweiten Mal für einen wichtigen Wahlkampf nominiert: 2013 im Bund zum Üben, 2017 als gesetzter Sieger. Am Sonntagabend bekommt die steile Kurve den ersten Knick. Es ist das spannendste und längste Duell um ein Direktmandat im ganzen Land. Und Winzen verliert es. Darauf hätte noch am Nachmittag niemand einen Pfifferling gesetzt. Dann sickern erste Wasserstandsmeldungen zum SPD-Debakel durch.

LANDTAGSWAHL IN KREFELD: Krefelds 64-Stimmen-Drama
Foto: Bischof

Es sind 64 Stimmen, die am Ende den Unterschied machen. Von 57 466 gültigen Stimmzetteln. Ähnlich lange haben sie nur am Niederrhein im Wahlkreis Wesel II und im Kreis Siegen-Wittgenstein gebangt, aber da ging es nicht um Köpfe, sondern um Zweitstimmen. Winzen, der selbst gern seinen politischen Ziehvater Uli Hahnen ins Gespräch bringt, eint seit Sonntag eine weitere Erfahrung mit dem mittlerweile verstorbenen, beliebten Krefelder Sozialdemokraten: Hahnen hatte seinerzeit nur knapp 200 Stimmen weniger gesammelt als Gregor Kathstede von der CDU. Und wurde nicht wie vielfach erwartet Oberbürgermeister der Stadt Krefeld.

Winzen hätte auf diese Erfahrung gern verzichtet. Am Tag danach ziehen Abend und Nacht wie ein Film am inneren Auge vorbei. „Das ist extrem bitter, der knappe Abstand macht die Niederlage noch härter.“ Aber Winzen gibt sich sehr gefasst. „Ich habe in der Nacht noch Britta Oellers gratuliert und bin dann nach Hause.“ Wo Ehefrau Christina das Drama vor dem PC erlebt hat, Töchterchen Hanna hatte gegen 21.30 Uhr endgültig keine Lust mehr auf Wahlparty.

Zu diesem Zeitpunkt war noch alles drin für Winzen. „Die erste Nervosität und die erste Enttäuschung bekommt man nach der ersten Hochrechnung in den Griff.“ Dann beginnt eine stundenlange Zitterparty, die immer wieder von längeren Pausen unterbrochen wird, weil irgendetwas mit der Auszählung nicht funktioniert. Die Nerven.

Während Winzen, unterstützt unter anderem von Genossin Ina Spanier-Oppermann und dem Rest seiner Familie, dem winzigen Vorsprung von Britta Oellers immer hinterherrennt, hat bei der CDU die Party begonnen. Marc Blondin ist überraschend deutlich durch, Oellers Ehemann ist mittlerweile eingetroffen, alle zittern gemeinsam, einige wollen das Bier nicht warm werden lassen. Oellers sagt: „Komisch, ich bin überhaupt nicht nervös.“

Ein paar Meter weiter im Rathaus feiert die Krefelder FDP ihr überragendes Ergebnis auf ihre Art. Parteichef Heitmann lässt wissen, dass es auch in Krefeld an der Zeit für eine Koalitionsbeteiligung der Liberalen wäre. Die Grünen lecken ihre Wunden im Limericks, die Linken können nicht zufrieden sein. Dieser Abend ist längst gelaufen.

Nicht so bei SPD und CDU. Um ziemlich genau 23.47 Uhr ist der letzte Bezirk ausgezählt und bei den Christdemokraten verwandelt sich die Euphorie in Freudentaumel, Oellers küsst zuerst ihren Mann, stimmt unter frenetischen Anfeuerungsrufen ein Trinklied an.

Und am Südwall? Fassungslosigkeit. Winzen im Landtag, das wäre das sprichwörtliche blaue Auge gewesen für eine SPD in Krefeld, die insgesamt besser abschneidet als im Land. Die sogar mehr Wahlbezirke bei Erst- und Zweitstimmen gewinnt als die CDU. Aber eben nicht die entscheidenden. Es ist ein Abend, an den sich viele Politikinteressierte noch lange erinnern werden.

Benedikt Winzen bestimmt. Aber er ist auch nicht bereit, sich jetzt einzuschließen. „Wir versuchen zu analysieren, was wir falsch gemacht haben, wie es weitergeht.“ War es seine die letzte Kandidatur? „Sowas kann ich heute doch gar nicht beantworten. Sicher ist, dass wir darüber reden müssen, wie wir uns organisatorisch breiter aufstellen.“ Heißt: Seine Jobs als bald zweifacher Vater und Firmenkundenberater bei der Commerzbank lassen sich mit dem Fraktionsvorsitz nicht mehr in der jüngsten Intensität stemmen. „Im Oktober kommt unser zweites Kind, das steht sowieso über allem.“

Kluge Worte eines 32-Jährigen, der an seinem 64-Stimmen-Drama sicher noch einige Zeit kauen wird.

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