Künstlerin mit Schere und Pinsel

Die Friseurin Adiam Hailesillassie widmet sich in ihren Gemälden dem Thema Spiritualität.

Krefeld. „Nomen est omen“, sagt Adiam Hailesillassie lächelnd, wenn sie auf ihren außergewöhnlichen Nachnamen angesprochen wird. Die aus Eritrea stammende Krefelderin heißt nämlich ähnlich wie der letzte Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie — was übersetzt „Macht der Dreifaltigkeit“ bedeutet. „Das passt zu mir: Ich bin nämlich durch und durch gläubig.“

Das wird sofort jedem klar, der den Salon der 36-jährigen Friseurmeisterin betritt: Großformatige Bilder — alle selbst gemalt — hängen an den Wänden. Offenkundig widmen sie sich dem Thema Spiritualität. Die Werke strahlen Energie aus und wirken fast ein wenig transzendent.

Haareschneiden und Malerei haben einiges miteinander gemeinsam, findet Hailesillassie: „Haare sind die persönliche Note eines Menschen, die man mit viel Einfühlungsvermögen und Respekt bei jedem individuell betonen muss. Und das gelingt nur, wenn Farben und Formen miteinander harmonieren.“ Das hinzukriegen und ihren Kunden dabei ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln, sei der künstlerische Aspekt ihrer täglichen Arbeit.

Seit ungefähr zehn Jahren tobt sich Hailesillassie mit Pinsel und Farbe auf großen Leinwänden aus. Das Bedürfnis zu malen bahnte sich damals plötzlich seinen Weg aus ihrem tiefsten Inneren: „Auf der Leinwand spiegelt sich mein Ich, denn echte Kunst entsteht nur durch echte Gefühle“, sagt sie. „Und mein Glaube ist nun mal ein fester Teil meiner Persönlichkeit.“

Einer der Gründe, dass Adiam Hailesillassie ihre Religion künstlerisch so offenherzig nach außen trägt, ist ihre Geschichte, die anderen Mut machen soll. Sie reicht nämlich eigentlich für drei Leben: Geboren wurde sie im afrikanischen Eritrea, das damals noch zu Äthiopien gehörte. Im Unabhängigkeitskrieg, der insgesamt 30 Jahre dauerte, wurde das Haus ihrer Eltern bombardiert. Rebellen entführten ihren zehnjährigen Bruder und drillten ihn zum Kindersoldaten.

Hailesillassies Familie bezahlte Schlepper, um in den Sudan zu gelangen. Die beschwerliche Flucht durch die Wüste kostete ihren Vater das Leben, im Flüchtlingslager des Roten Kreuzes starben ihre Mutter und ihr kleiner Bruder, der damals noch ein Baby war. „Wir wurden von Schlangen und Skorpionen geplagt, nachts wurde es furchtbar kalt“, erinnert sich Hailesillassie.

Ihre Oma, die als Haushälterin in Rom arbeitete, holte die damals siebenjährige Adiam und ihre beiden älteren Schwestern aus dem Lager nach Italien — „mit einem Brief, den Papst Johannes Paul II. persönlich geschrieben hatte“. Dort verbrachten die Mädchen vier Jahre in einem Kloster. „Diese Zeit war unglaublich schön für uns“, erinnert sich Hailesillassie. „Wir haben viel gebetet, hatten Spielsachen und immer etwas zu essen. Wir durften endlich wieder Kind sein.“

Ihre Tante, die damals schon in Krefeld lebte, holte Adiam mit elf Jahren zu sich. Da sie aber selber vier Kinder zu versorgen hatte, wuchs ihre Nichte im Kinderheim Kastanienhof auf. Mit 17 Jahren machte Hailesillassie ihre Lehre zur Friseurin, später ihren Meister. Seit acht Jahren führt sie ihren eigenen Salon — und wirkt trotz ihrer bewegten Geschichte fast immer glücklich und beschwingt.

„Ich spüre eine tiefe Verbundenheit zu Gott, deswegen können mich all die Dinge, die mir passiert sind, nicht unterkriegen“, sagt sie. „Ich bin ihm einfach dankbar, dass er mich nach Deutschland gebracht und mir so ein schönes Leben bereitet hat — hier in Krefeld, der Stadt der Künstler.“

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