Kipphardt: Erschreckend aktuell und voll anarchischer Komik

Jens Pesel und Schauspieler lesen aus Werken des Schriftstellers.

Krefeld. Er beklagt die Kulturfeindlichkeit in der Gesellschaft, die sich in einem Rückgang an Fantasie und sinnlicher Erfahrung äußert. Diese mehr denn je aktuelle Kritik stammt vom Schriftsteller Heinar Kipphardt (1922-1982), der seit fast 30 Jahren tot ist.

Grund genug, noch einmal genau auf sein vielschichtiges Werk zu schauen. Gemeinsam mit der in Krefeld ansässigen Internationalen Heinar-Kipphardt-Gesellschaft veranstaltete das Theater im gut besuchten Glasfoyer eine literarische Soiree, bei der Mitglieder des Schauspielensembles Auszüge aus Briefen und dramatischen Texten des Autors lasen.

Frank Beck von der Kipphardt-Gesellschaft moderierte den Abend und begrüßte im Publikum die Witwe des Dichters, Pia Kipphardt, die aus München angereist war. Gemeinsam mit den Schauspielern las Generalintendant Jens Pesel, der mit Kipphardt bis zu dessen Tod eng befreundet war und 2005 am hiesigen Theater seinen "Bruder Eichmann" inszeniert hat.

Ein Ausschnitt aus diesem Stück, das in nüchternen Verhören eine Normalität des Schreckens drastisch sichtbar macht, bildet einen der stärksten Momente des Abends. Matthias Oelrich beeindruckt als Schreibtischtäter Adolf Eichmann, der seine Verbrechen unter den Teppich blinden Gehorsams und exakter Dienstwege kehren möchte.

Erschreckend aktuell auch die Erkenntnis, die in Kipphardts wohl populärstem Stück "In der Sache J. Robert Oppenheimer" deutlich wird. "Wir haben eine Bombe gebaut, um zu verhindern, dass sie verwendet wird", sagt Oelrich als Atomphysiker, der nach dem Abwurf der Bombe immerhin "schreckliche moralische Skrupel" hatte.

Eine geradezu anarchische Komik in Kipphardts Werk zeigen Ines Krug und Sven Seeburg in dem nächtlichen Dialog eines Paares. Es geht um geträumte Leichen, Bratkartoffeln und die Liebesbräuche fremder Völker. Briefzitate, gelesen von Floriane Kleinpass und Adrian Linke, gewähren Einblicke in den Dichter als Menschen, der seinen Eltern von seiner Arbeit berichtet, aber auch die Stille eines Wintertages poetisch beschreibt. "Ich mag kein Illusionist und kein Narr sein", schreibt Kipphardt.

Dass er stattdessen ein im besten Sinne unbequemer Denker war, der auch heute noch viel zu sagen hätte, hat der Abend eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

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