Gehversuche mit Drachen

Der Gleitschirm hat mit romantischen Windvogel-Spielen aus den Kindertagen nichts mehr zu tun. Die WZ hat das Kiten getestet – den neuen Ganzjahressport.

Krefeld. Windböen peitschen das Wasser auf. Eine ordentliche Brise rauscht in meinen Ohren. Zusammen mit Eric Dahlmanns und zwei Gleitschirmen im Schlepptau geht es über die Mündelheimer Rheinwiesen. Im Selbstversuch werde ich mich gleich zurück in meine Kindertage katapultieren und mal wieder einen Drachen steigen lassen. Die Sonne scheint. Bestes Drachenwetter also. Das sollte ein Kinderspiel werden, denke ich - und habe die Rechnung ohne den Fortschritt gemacht.

Denn das Steigenlassen solcher Drachen heißt jetzt Kiten und ist "längst zum Sport geworden - einem Ganzjahressport", sagt Dahlmanns. Er legt mir einen breiten Gurt mit zahlreichen Haken und Schlaufen um die Taille und schnallt mich fest. Dahlmanns weiß, was er tut. Er betreibt einen Kite- Shop an der Königstraße. Ich sehe schon: Das ist anders als erwartet. Mit Familienidylle am Strand - in der einen Hand den Drachen und in der anderen die Eiswaffel - hat das nichts mehr zu tun.

Im Handumdrehen rollt der Profi die beiden Schnüre des Lenkdrachens aus. Meine ersten Gehversuche unternehme ich mit einem stablosen Modell an zwei Schnüren mit einer Spannweite von etwa einem Meter. Wir sind startklar. Begleitet von einem lauten "Jetzt!" verwandelt sich der Wind in Kraft und reißt den Drachen in die Höhe. Leicht wie eine Feder, als gäbe es keine Erdanziehungskraft, flattert mein knallbuntes Exemplar im Wind, steht am Himmel wie eine Eins und erfüllt mich mit Stolz. Gerade macht er einen Looping. Das war nicht beabsichtigt, sieht aber professionell aus. "Loopings sind nichts anderes als durchflogene Kurven", entzaubert der Profi mein Manöver.

Prompt folgt Absturz Nummer eins. "Das Tolle an den neueren Kites ist, dass man sie, wenn der Wind günstig steht, alleine aus dem Liegen starten kann", scherzt mein Lehrer. "Ein Drachen kann geradeaus fliegen und in Kurven." Der Profi findet das "ganz einfach, aus dem Handgelenk heraus". Rein theoretisch ist mir alles klar: Der Drache fliegt in die Richtung, in die der so genannte Pilot, in diesem Fall also ich, zieht.

Beim zweiten Versuch werde ich mutiger. Durch abwechselndes Ziehen rechts und links fliegt der Drache Achten. Mit einem zu beherzten Linksruck provoziere ich Absturz Nummer zwei.

Nach meinen anfänglichen Orientierungsschwierigkeiten muss ich sagen: Ein bisschen Übung macht zwar noch keinen Meister, aber mit dem kleinen Schirm komme ich jetzt gut zurecht.

Dahlmanns verkündet die nächste Stufe. Ein rot-grauer Schirm mit über zwei Metern Spannweite an zwei Schnüren löst das Kinderexemplar ab. "Welche Farben die Modelle haben, richtet sich übrigens einzig und allein nach dem aktuellen Trend", erzählt Dahlmanns.

Natürlich gibt es sie noch, die neonfarbenen, rautenförmigen Drachen mit lächelnden Gesichtern an einer Schnur, mittlerweile sogar dreidimensionale in Form von Schweinen oder Fischen. Das Repertoire reicht bis hin zu Kites mit riesiger Spannweite und bis zu vier Schnüren: zwei zum Lenken und zwei zum Bremsen.

Bremsen wäre vielleicht gar nicht so verkehrt, denke ich, als Dahlmanns mich auf die Sicherungshaken vorne an meinem Gurt aufmerksam macht und den neuen Schirm lieber erst einmal selber testet.

Das sieht einfach aus, nichts anderes als eben. Fest steht der Profi mit beiden Beinen auf dem Boden. Mich allerdings zieht der Drache alle Nase lang mit einem Ruck mehrere Meter nach vorne, wie ein ungezähmter Hund. Wer hat hier wen an der Leine?

Schnell habe ich gelernt, dass sich mit Muskelkraft gegen den Wind wenig ausrichten lässt, wenn die Drachen so groß sind. Und ich weiß, dass ich jetzt ein neues Hobby habe.

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