Leben mit Spenderorgan "Endlich kann ich wieder durchatmen"

Luft in den Lungen zu haben, ist für jeden anderen ganz normal, nicht aber für Olaf Neuke: Er lebt mit einem Spenderorgan.

Leben mit Spenderorgan: "Endlich kann ich wieder durchatmen"
Foto: Dirk Jochmann

Krefeld. Schwer zu sagen, wer auf dem Foto in dem silberfarbenen Rahmen mehr strahlt: Olaf Neuke oder seine Frau Martina. Für das Ehepaar aus Bockum ist es eine ganz besondere Aufnahme: „Es ist das erste Bild von uns nach meiner Lungentransplantation“, erzählt Olaf Neuke. Nur zehn Tage liegen zwischen der Operation am 22. November vergangenen Jahres und dem Foto.

„Es war ein Wahnsinnsgefühl da unter dem Baum im Garten der medizinischen Hochschule in Hannover zu stehen, bei Sonnenschein, ohne Sauerstoffschlauch in der Nase und einfach tief durchzuatmen!“

Richtig tief durchatmen — das konnte der 49-Jährige davor seit Jahren nicht mehr. Dass er schlecht Luft bekomme, sei ihm zum ersten Mal beim Joggen im Urlaub auf Juist aufgefallen. Bald darauf wurden auch die Laufrunden zuhause im Sollbrüggenpark weniger — zehn, neun, acht . . . Etwa drei Jahre später, im November 2013, diagnostizieren die Ärzte bei Neuke ein Lungenemphysem. „Bei Belastung platzen die Lungenbläschen, dadurch kann die Lunge weniger Sauerstoff aufnehmen“, erklärt er.

Neuke leidet zudem an Systemischer Sklerose, eine Erkrankung, die zur Verhärtung des Bindegewebes führt und seine Lunge angreift. „Ich bin mit der Tasche geschultert in die vierte Etage des Krankenhauses gelaufen“, erinnert er sich, „und nach vier Tagen mit einem Sauerstoffgerät entlassen worden. Das war krass.“

Kein halbes Jahr nach der Lungentransplantation geht es Olaf Neuke gut. Er trägt einen Mundschutz, um sich vor Infektionen zu schützen. Die Medikamente, die er nach der Transplantation nehmen muss, damit sein Körper das fremde Organ nicht abstößt, fahren sein Immunsystem in den Keller. Eine Grippe?

„Die wäre für mich lebensgefährlich.“ Angst vor dem Tod kennt der 49-Jährige nicht. Dass die durchschnittliche Lebenserwartung für Menschen mit einer transplantierten Lunge bei fünf Jahren liegt, darüber denkt Olaf Neuke nicht nach. „Ich will nicht nur am Leben teilnehmen, ich will damit leben, und zwar 20 Jahre.“

Dabei waren seine Tage doch längst gezählt. „Wegen meiner schweren Bindegewebserkrankung sollte ich eigentlich keine Spenderlunge bekommen, weil die Aussicht auf Erfolg nach der Transplantation zu gering ist.“ Neukes Glück: Die Systemische Sklerose hat bei ihm über Jahre kein anderes Organ als die Lunge befallen. Während die Uniklinik in Essen ablehnt, stimmt die Medizinische Hochschule Hannover einer Transplantation zu.

Im Sommer vergangenen Jahres verschlechtert sich Olaf Neukes Zustand zunehmend. „Zuletzt musste ich auf dem Sofa schlafen, weil ich die Treppe hoch zum Schlafzimmer nicht mehr bewältigen konnte.“ Waschen habe er sich nur noch am Becken können — das Ein- oder Aussteigen in die Badewanne — unmöglich.

„Ich konnte mir nicht mal mehr einen Strumpf über den Fuß ziehen, weil das so extreme Atemnot verursacht hat“, erzählt der 49-Jährige. Drei 45 Litertanks Sauerstoff habe er zu dieser Zeit in einer Woche verbraucht. „Ich habe am Küchenfenster gesessen und die Leute, die ich auf der Straße beim Spazierengehen gesehen habe, gehasst. Weil die das konnten und ich nicht.“

Im Oktober 2015 kommt Olaf Neuke auf die Transplantationsliste — mit Dringlichkeitsstufe. Die Ärzte geben ihm zu diesem Zeitpunkt „noch höchstens drei Jahre“. Aber Sterben? „Auf gar keinen Fall! Ich war permanent im Kampfmodus.“

Der erlösende Anruf kommt schneller als erwartet: am 22. November um 0.27 Uhr. „Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass ich jetzt von meiner Frau Abschied nehmen muss. Ich wusste ja nicht, ob ich die Transplantation überlebe und wir uns noch mal wiedersehen“, erinnert sich Neuke an den schlimmen Moment.

Doch nur zehn Tage später entsteht das Foto im Garten der Klinik. Es wird noch viele solcher Bilder geben, daran glaubt Olaf Neuke fest. Auch wenn er weiß: „Abstoßungsreaktionen können jederzeit auftreten.“ An seinen Plänen für die Zukunft ändert das nichts: „Ich will sobald wie möglich wieder am Strand von Juist Joggen gehen.“

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