So modern wohnt Gott im Rheinland St. Fronleichnam in Aachen: An der Schwelle zum Unbetretbaren

Der Aachener Bau der Architekten Rudolf Schwarz und Hans Schwippert von 1930 ist ein Meilenstein der modernen Kirchenbaukunst.

So modern wohnt Gott im Rheinland: St. Fronleichnam in Aachen: An der Schwelle zum Unbetretbaren
Foto: Ulli Tückmantel

Aachen. Nur ein kleines Kreuz auf dem Tabernakel. Mit einem weißen Elfenbein-Korpus auf blauem Hintergrund. Mehr als 40 Meter vom Eingang entfernt, oben auf dem Tabernakel stehend. Daran soll der Besucher erkennen, dass er eine Kirche betreten hat. „Auf dem Altar steht ein Kreuzchen von vielleicht 30 cm Höhe“, schrieb Rudolf Schwarz (1897—1961) noch drei Jahrzehnte später dazu, „es genügt dem Raum, der 19 Meter hoch ist, als Bezeichnung.”

Das sah man im Kölner Generalvikariat ganz anders als der Architekt, der von 1927 bis zur Machtübernahme der Nazis die Kunstgewerbeschule Aachen leitete und von 1953 bis zu seinem Tod an der Düsseldorfer Kunstakademie Städte- und Kirchenbau lehrte. Die Kölner Bistumsbehörde wollte in dem Gebäude überhaupt keine Merkmale einer Kirche erkennen und lehnte es ab. Da aber Köln für das gerade entstehende Bistum Aachen eigentlich nicht zuständig war, schufen der Pfarrer und sein Architekt Fakten.

St. Fronleichnam in Aachen: An der Schwelle zum Unbetretbaren
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So entstand von 1928 bis 1930 im Aachener Ostviertel, wo vor allem Arbeiter lebten und belgischen Soldaten in neuen Siedlungsbauten einquartiert waren, eine der erstaunlichsten Kirchen des Rheinlands. Bei alten Aachenern sei die Kirche besser bekannt unter dem Namen „Sankt Makei“ (Öcher Platt für Quark) bekannt, ist auf der Internetseite der Pfarrgemeinde nachzulesen, „denn sie sieht in der Form des weißen Quaders aus wie eine umgestürzte Packung Quark“.

Das verdeutlicht, warum die herausragende Architekten-Kirche in Wahrheit schwerer zu erhalten ist als der Aachener Dom: Um einemittelalterliche Kathedrale zu schützen, braucht man bloß Geld und Zeit. Um St. Fronleichnam in seiner reinen Form zu erhalten, braucht man Überzeugung. Die Idee von Schwarz und seinen Mitarbeitern Hans Schwippert und Johannes Krahn beruht auf dem Verzicht auf jede Dekoration, um den Raum als Behältnis des Wesentlichen sprechen zu lassen.

Romano Guardini über die Architektur von St. Fronleichnam.

Rudolf Schwarz war führendes Mitglied der katholischen Jugendbewegung „Quickborn“ und dort in (lebenslangen) Kontakt mit dem Theologen Romano Guardini (1885—1968) gekommen, der wichtige Vorimpulse für die Liturgie-Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils setzte. „Das ist keine Leere; das ist Stille! Und in der Stille ist Gott“, so Guardini über den mächtigen weißen Kubus: 21 Meter hoch, 48,40 Meter lang, 20,70 Meter breit, mit einem außen seitlich des Gebäudes freistehenden Glockenturm von 40 Metern Höhe.

In diesem „reinen Einraum“ (Schwarz) dominieren am Boden der dunkle Ardennen-Blaustein, die von Schwippert entworfenen Kirchenbänke aus schwarzem Holz und die weiß verputzen Wände. Schwarz sah in diesem Raum nach einem Konzept, dass er als „Der Weg“ bezeichnete, drei Zonen: In der ersten Zone, dem Kirchenschiff und seinen Bankreihen, richten sich die Gläubigen auf Gott aus. Der mit einigen Stufen erhöhte Altar, auf dem Tabernakel und Kreuz stehen, ist als zweite Zone die des Übergangs — und die dritte Zone ist der nicht betretbare Raum des Herrn, das Ziel des Weges — vergegenständlicht in der weißen Wand.

Welcher Kontrast dies in einer Zeit war, in der das katholische Kirchenvolk im zentralen Geschehen der Messe nur den Rücken des Priester für einem meist völlig überladenen, prunkvollen Hochalter mit Heiligen und Bildern sah, ist heute kaum noch vorstellbar. Die alte Liturgieform erklärt auch, warum die fast quadratische Kanzel sich weit entfernt vom Altar in der Mitte des Kirchenschiffs befindet: Der Wortgottesdienst gehörte bis 1965 noch nicht zum Kern des katholischen Gottesdienstgeschehens. 1980 wurden bei einer Sanierung der Kirche ein Zelebrationsaltar und ein Ambo in die Altarstufen integriert, um das zentrale Mess-Geschehen näher an die Gläubigen heranzurücken.

Schwarz gefiel nicht fiel, was „seiner“ Kirche hinzugefügt wurde, so auch nicht die geschnitzte Josefs-Figur (Patron der heutigen Mutter-Gemeinde), die ein Modell von St. Fronleichnam in der Hand hält: „Bedauerliche Zutaten“, urteilte der Baumeister.

Mit dieser Folge endet unsere Sommerserie.

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