Gast-Beitrag Wenn man sich nur über andere aufregt, läuft etwas schief

Was das aggressive Verhalten im Verkehr mit der Bergpredigt zu tun hat

Gast-Beitrag: Wenn man sich nur über andere aufregt, läuft etwas schief
Foto: Evangelische Kirche Düsseldorf

Wildes Hupen schreckt mich auf. Ein schneller Blick in den Rückspiegel: Ein kleiner Lieferwagen überholt mich rasant auf er linken Spur einer Düsseldorfer Schnellstraße. Schert stoßstangenscharf vor mir ein und fährt dann einen wilden Zickzack-Kurs. Mir schießt das Adrenalin ins Blut — Herzklopfen, Schweißausbruch . . . Sie kennen das.

Der Lieferwagenfahrer gibt Gas und ist weg. Nicht weg ist mein Schreck. Und mein Ärger. „So ein . . . “ fluche ich. „Das ist ja lebensgefährlich! Unglaublich! Anzeige.“

Ärgern Sie sich öfter im Straßenverkehr? Finden Sie, dass das Klima auf unseren Straßen zu rau ist? Dann sind Sie nicht allein: Vor einer Woche wurde das Ergebnis der Befragung „Verkehrsklima 2016“ der Unfallforschung der Versicherer veröffentlicht. Dabei kam heraus, dass die Mehrheit der über 2000 Befragten „den Straßenverkehr als ‚stressig’, ‚aufreibend’ oder ‚chaotisch’“ empfinden. Häufig wird über aggressive Verkehrsteilnehmer geklagt. So wie ich es eingangs auch getan habe.

Als ich mich wieder abgeregt hatte, fiel mir ein, dass ich diesen Lieferwagen schon mal gesehen hatte: An der letzten Auffahrt war er auf der Beschleunigungsspur, als ich an ihm vorbeifuhr. Hatte er erwartet, dass ich ihn reinlasse? Hätte ich vom Gas gehen sollen, damit er auffahren kann? Keine Ahnung. Aber erst mal habe ich mich fürchterlich über diesen rücksichtslosen Kerl (woher weiß ich eigentlich, dass es ein Mann war?) aufgeregt.

So wie es auch viele Befragte der Studie schildern: „Aggressiv sind immer die anderen: Eine große Diskrepanz gibt es beim beobachteten und beim selbst zugegebenen aggressiven Fehlverhalten. Während fast alle der Befragten schon einmal das ‚absichtliche Zufahren’ einer Lücke oder das zu dichte Einscheren beobachtet haben, geben nur rund 20 Prozent zu, dies auch selbst zu tun.“

„Warum kümmerst du dich um den Splitter im Auge deines Mitmenschen und bemerkst nicht den Balken in deinem eigenen Auge?“, so fragt Jesus in der Bergpredigt. Warum regst du dich auf über das aggressive Verkehrsverhalten deiner Mitmenschen und bemerkst nicht deine eigenen Fahrfehler? Würden wir den Balken im eigenen Auge bemerken, käme es zu einem Klimawandel im Straßenverkehr. Es gibt auch freundlichere Klimazonen auf der Welt: So sagen zum Beispiel alle Passagiere in kanadischen Linienbussen ihrem Busfahrer beim Aussteigen: „Thank you“.

Pfarrer Dietmar Redeker, Graf-Recke-Stiftung Düsseldorf

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