WZ-Serie: Düsseldorfer Tanzschulen Tanzen — zwischen Rock und Knigge

Eins, zwei, Wiegeschritt — wehe, wem die Tanzstunde schlägt

 WZ-Serie: Düsseldorfer Tanzschulen: Tanzen — zwischen Rock und Knigge
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Wenn es Mitte der 60er Jahre im Schwarzweiß-Fernsehen hieß „Gestatten Sie“ wurden nicht nur in Düsseldorf die Wohnzimmerteppiche aufgerollt. Dann hieß es Fern-Sehen: Ernst und Helga Fern brachten Deutschland Schritt für Schritt das Tanzen bei, 24 Folgen lang, Standard und Latein-Amerika, nicht nur Wiener Walzer und Foxtrott, Rumba und Cha-Cha-Cha, auch Hully Gully, Twist und Let’s Kiss. Weiter ging es danach mit der „Tanzparty mit dem Ehepaar Fern“.

Nachmittagelang übertrug das Fernsehen Tanzturniere wie heutzutage Wintersport. Da schwebten die Paare über den Bildschirm mit einer programmierten Leichtigkeit, wie sie heute höchstens noch ein Roboter-Staubsauger aufs Parkett legt. Der Herr bewegte sich dabei, als hätte er einen Besenstil verschluckt, die Dame sah in ihrer Tüllwolke wie eine Teepuppe aus, beide beherrschten bei jeder Drehung das Dauergrinsen in die Kamera.

Ganz Deutschland war im Tanzfieber. In Düsseldorf konnte man sogar direkt mit den prominenten Tanzlehrern lernen. Das Ehepaar Fern hatte die Tanzschule von Kayser an der Jacobistraße übernommen, kurz vK genannt. Dahin gingen traditionell die feinen Pinkel vom Gymnasium. Söhne und Töchter des bürgerlichen Mittelstandes trafen bei Dresen an der Duisburger Straße aufeinander. Es gehörte damals irgendwie zum guten Ton, eine weiterführende Tanzschule zu besuchen, auch weil dort Benimm unterrichtet wurde. Außerdem: Es gab noch keine Diskos.

Die Tanzschulen lagen fast alle im gleichen Stadtteil. Die dritte war Kaechele an der Sternstraße. Dort landete ich zufällig, weil meine Schulfreundin mich einfach mitanmeldete. Ich hatte eigentlich keinen Bock auf den Tanzstunden-Drill. Die Schule von Gerd Kaechele und seiner Frau Wally Kaechele habe ich als eine Art rebellische Resterampe in Erinnerung für die, die lieber nach freien Stücken Rock’n’Roll tanzten als Befehlen zu gehorchen wie: „Eins, zwei, Wiegeschritt.“ Erraten? Klar, Tango, und zwar ganz korrekt mit dem Schwitzehändchen unter der zitternden Achsel des Partners. Glück gehabt, wenn der wenigstens gleichgroß war. Dafür gab es keine Garantie, denn Mauerblümchen wurden nicht gemacht. Stattdessen hieß es: „Bitte, zwei Damen weitergehen“. Was feministisch nicht einwandfrei war. Man wurde als Dame zwar nicht sitzen-, aber stehengelassen, und musste nehmen, was kommt. Trotzdem kam’s natürlich zu Pärchenbildungen. Wozu ging man schließlich in die Tanzschule? Um Tanzen zu lernen? Hach!

Auch deshalb: Es gab zwischen den einzelnen Tanzschulen, Querverbindungen, ja Rivalitäten, so was wie eine rheinische West-Side-Story an Samstagabenden zum Candle-Light-Ball oder Sonntagnachmittags zum Tanztee. Da waren auch Gäste willkommen. Mehr oder weniger. Weniger die Kerle von Kaechele, die bei vK einfielen und dort die Prinzesschen aufmischten.

Wobei die vornehmen Schüler oft schlecht wegkamen. Nicht, weil sie schlechter tanzten. Aber die Berufstätigen von Kaechele hatten schon Autos (Auswahl aus der Erinnerung: BMW-Isetta, Fiat 500, VW-Käfer mit Popo-Fenster, Renault 4 mit Krükstockschaltung, bis hin zum Uralt-Opel Rekord.

Dafür machten sich die Mädels schick. Es war die Ära der Petticoats und Tüten-BH. Dieser Mode verweigerte ich mich allerdings und kam so, wie ich mich fühlte mit 15: hässlich. Ich erfand einen neuen Dresscode: Was man verstecken möchte, muss man betonen, dann wird es wunderbarerweise nicht mehr wahrgenommen. Klingt absurd, funktioniert aber. Eine Freundin, die Friseuse lernte, verpasste mir einen angefressenen Stoppelschnitt, dazu trug ich die viereckigste Brille, die ich finden konnte, dazu meist enge Hosen statt weiter Röcke.

Was soll man auch sonst machen, wenn man im tiefsten Inneren überzeugt ist, nicht Schritt halten zu können bei dem Getue im Tanzkurs? Zurückbleiben? I, wo! Überholen! Dazu brauchte ich ein Statussymbol. Ich angelte mir Hans, den Hospitanten. Der war älter, fortgeschrittener, hatte ein Tanzabzeichen und sprang gerne ein beim Männermangel in den Kursen, der damals herrschte.

Hans brachte mir die richtigen Schritte bei. So überstand ich irgendwie diese Tanzschulzeit, sogar den Mittelball als Stilbruch im Brokatkleid. Den Schlussball in der Rheinterrasse schwänzte ich. Hatte ich nicht mehr nötig, ich hatte ja Hans. Und heute? Ich tanze gern, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Erst kürzlich war ich nach dem Geburtstag eines Freundes mit der ganzen Clique in einer kubanischen Bar an der Mühlenstraße. Heiß! Sollte man — sollte ich — öfter machen.

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