Gast-Beitrag Ulrich Hennes : Plädoyer für besondere Solidarität mit geflohenen Christen
Es gibt keine pauschale Christenverfolgung in Unterkünften, aber Repressalien
Als Christen helfen wir Flüchtlingen nicht, weil sie Christen sind, sondern weil sie in die Notlage geraten sind, ihre Heimat verlassen zu müssen. Unsere Zuwendung gilt jedem Notleidenden unabhängig von Hautfarbe und Religion. Ihnen werden wir — wie es Jesus Christus in dem bekannten Gleichnis vom barmherzigen Samariter erzählt — zum Nächsten.
Dennoch meine ich, dass die Christen unter den Flüchtlingen unserer besonderen Solidarität bedürfen. Seit vielen Jahren schon stellen wir eine Abwanderung von Christen aus dem Orient und damit aus der ältesten Region des christlichen Glaubens fest. Christen haben ihre Heimat schon verlassen, als noch niemand vom Islamischen Staat sprach, weil sie Benachteiligung und Repressalien, bisweilen auch Verfolgung ausgesetzt waren. Ihr Weg führte sie stets in Länder christlicher Prägung, in denen sie sich Sicherheit und Freiheit als Christen erhofften. Mit Eskalation des syrischen Bürgerkriegs und der Ausweitung des Terrors des Islamischen Staates flohen aber dann auch Muslime nach Europa, um Leib und Leben zu retten. Mit einem Mal finden sich Christen nun gemeinsam mit Muslimen in Flüchtlingsunterkünften vor, subjektiv also genau mit den Menschen, vor denen sie geflohen waren.
Neben den traumatischen Erfahrungen, die plötzlich wieder lebendig werden, kommen kulturelle Gegensätze, vor allem während des Ramadan, auf, die zu Spannungen führen. Fastende Muslime und essende Christen leben in derselben Einrichtung in einer ohnehin schon angespannten Situation von räumlicher Enge und sommerlich überhitzten Unterkünften. Nicht alle Spannungen, die auftreten, sind religiöser Art, sondern haben einfach mit kulturellen Unterschieden (Essensgewohnheiten, Kleidung), aber auch mit der grundsätzlichen Notlage zu tun. Daher dient es auch niemandem, eine pauschale Christenverfolgung in Unterkünften zu behaupten und damit alle Nichtchristen in Flüchtlingsheimen unter Generalverdacht der Unterdrückung von Christen zu stellen. Im Gegenteil: Manche Muslime und Christen berichten davon, dass sie schon in der Heimat friedlich als Nachbarn gelebt haben.