Lys Assia: Eine Lady mit Temperament

Lys Assia war die Siegerin des ersten Grand Prix d’Eurovision. Heute vermisst sie die Sänger mit Charisma.

Düsseldorf. Höchstens das Dekolletée. Keine nackte Schulter, kein entblößter Rücken. Als Lys Assia vor 55 Jahren den ersten Gran Premio Eurovisione della Canzone Europea in Logano mit „Refrain“ gewann, trug man Kleider mit langen Ärmeln, zeigte Talent und Ausstrahlung.

Unter Kuhglocken-Fotos und Alpenidyll sitzt die heute 87 Jahre alte Schweizerin Lys Assia in einem Café am Düsseldorfer Flughafen. Eine Lady mit Temperament. Schlagfertig und geradeheraus.

Der Airport sekundiert der Landeshauptstadt, die den diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) ausrichtet, mit Aktionen, und Lys Assia wird bei dieser Gelegenheit mit ihrer Kollegin Ein-bisschen-Frieden-Nicole im Terminal die Siegesschlager von damals singen.

Seit 1956 hat Lys Assia, die mit „Oh mein Papa“ berühmt wurde, keinen ESC verpasst, auch weil sie die Grundidee von damals bis heute beeindruckt. „Die Show sollte nach dem Krieg Grenzen öffnen“, sagt sie. „Das ist doch enorm. Nie gab es Probleme. Ich glaube, der Liederwettstreit ist die größte Friedensshow überhaupt.“

Den Geist vergangener Jahre spüre sie, wenn sie zuschaue, immer noch hin und wieder. Nur mit dem Charisma der Sänger sei das so eine Sache. „Viele haben keines, und leider kann man es nur sehr schwer lernen.“

Aber da ist doch Lena. Ja, sagt Lys Assia, die habe schon Chancen. „Sie hat ihre speziellen Gesten und eine prägnante Piepsstimme. Man hörte ihr ,Satellite, Satellite’ und nichts anderes. Manchmal braucht es anscheinend nicht mehr.“

Drei Jahre hintereinander hat Lys Assia am ESC, der damals noch Grand Prix d’Eurovision hieß, teilgenommen. 1958 schaffte sie es noch einmal fast bis an die Spitze und erreichte Platz 2. Jedes Lied wurde damals live gesungen und war bis zum großen Tag streng geheim. Heute hat die Kommerzialisierungsmaschinerie solche bescheidenen Spannungserzeuger gnadenlos überrollt.

Überhaupt sind Lys Assia viel zu viele Effekte und Clownerien im Spiel. Als sie vor zwei Jahren nach Armenien eingeflogen wird, um dort neun Tage lang ESC-Anwärterin Eva Rivas zu beraten, gewöhnt sie der jungen Frau eine Sache sofort ab.

„,Lass’ das Hüftwackeln sein’ habe ich ihr gesagt. Das sieht viel besser aus.“ Im vergangenen Jahr nahm Rivas am ESC teil und holte den siebten Platz. „Aber leider hat sie wieder mit den Hüften gewackelt“, sagt Lys Assia. Für einen Sieg reiche das nicht. „Das Publikum lässt sich nicht beirren.“

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