Hip-Hop made in Düsseldorf Eileen Simonow ist Dr. Hip-Hop

Eileen Simonow hat an der Heine-Uni über US-amerikanischen Hip-Hop promoviert. Privat schätzt sie Megaloh und De la Soul.

Hip-Hop made in Düsseldorf: Eileen Simonow ist Dr. Hip-Hop
Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Frau Simonow, wird man eigentlich ernst genommen, wenn man seine Doktorarbeit über Hip-Hop schreibt?

Eileen Simonow: In einigen akademischen Fächern ist Hip-Hop nicht sehr anerkannt, das stimmt. In der Medien- und Kulturwissenschaft hier an der Uni, wo ich meine Arbeit geschrieben habe, war das anders. Im Gegensatz zu den USA beschäftigt sich in Deutschland mit diesem Genre aber nur ein Bruchteil der Musik- und Kulturwissenschaftler, was verwunderlich ist, gemessen an der großen Zahl der Menschen, die Hip-Hop hören. Das betrifft aber auch die gesamte Popmusik. Nehmen Sie ein Fach wie Musikwissenschaft. Dort hat eine breitere Beschäftigung mit Popmusik — egal ob nun Heavy Metal, Rock oder Techno— erst in den letzten 15 Jahren begonnen und steht proportional zur gesellschaftlichen Bedeutung immer noch in einem Missverhältnis.

Was stört Ihre Kollegen?

Simonow: Popmusik wird in der Wissenschaft noch zu häufig an den Maßstäben klassischer Musik gemessen. Dann heißt es, sie habe melodisch oder harmonisch wenig zu bieten, ihre Themen seien zu trivial. Eben keine Hochkultur. Im Fall von Hip-Hop gilt das noch mal mehr, da mit musikalischem Material ganz anders umgegangen wird als in weiten Teilen der Popmusik. Mit klassischem musiktheoretischem Vokabular kann man über Hip-Hop wenig aussagen. Tatsächlich geht es auf der musikästhetischen Ebene um komplexe Rhythmik, um ein Spiel mit Klang und Bedeutung von Worten. Oft hängt Ablehnung auch mit der Inszenierung der Rapper zusammen. Sie nutzen Umgangs- und Vulgärsprache, ihr Gestus ist aggressiv, sie zelebrieren Luxus und Macht und manche äußern sich teilweise massiv frauenverachtend.

Die Düsseldorfer Rapper Farid Bang und Kollegah sind besonders böse unterwegs. Für eine wissenschaftliche Betrachtung kommen sie wohl nicht in Frage, weil ihre Stücke ja eher überdeutlich als komplex sind.

Simonow: Ihre Stücke sind thematisch vielleicht einfach, aber sprachlich bewegt sich gerade Kollegah auf sehr hohem Niveau. Er und Farid Bang treten in einer Weise auf, die nicht allen angenehm sein mag, und auch ich höre sie eher aus Interesse als aus Vergnügen. Aber sie inszenieren sich komplexer, als man auf ersten Blick meint. Sie haben ein enorm großes und sehr junges Publikum. Und ich meine, wir sollten versuchen zu verstehen, was so ein Publikum an der Musik packt, in welchem Lebensgefühl sich die Leute wiederfinden. Die Haltung zur Gesellschaft, die Farid Bang und Kollegah ausdrücken, findet ja viel Zuspruch.

Welche Haltung?

Simonow: Beide inszenieren sich gerne als hypermaskulin, als diejenigen, die etwas aus sich gemacht haben und absolute Anerkennung genießen. Das ist entweder die Antwort auf tatsächlich erfahrene schwierige Lebensumstände oder aber ein Spiel mit diesem Topos. Gangsta-Rap insgesamt zeigt ja durchaus einen blinden Fleck der allgemeinen Wahrnehmung. Zum Beispiel hieß es lange: In Deutschland haben wir keine Ghettos wie beispielsweise in Frankreich, bei uns muss niemand Hunger leiden. Aber natürlich haben wir Ghettos und natürlich wachsen hier viele Kinder und Jugendliche in Armut auf. Chancengerechtigkeit und Minderwertigkeitsgefühle sind große Themen. Gangsta-Rap spricht das aus. Ob das „Wie“ uns nun passt oder nicht.

Düsseldorf ist nicht gerade bekannt für eine umtriebige Hip-Hop-Szene.

Simonow: Doch, seit etwa fünf Jahren spielt Düsseldorf deutschlandweit mit. Die beiden genannten Rapper verkaufen unglaublich viele Tonträger. Auch für die Antilopengang läuft es sehr gut. Sie stehen für den eher intellektuellen Hip-Hop und sind bei JKP, dem Label der Toten Hosen, unter Vertrag. Nicht zu vergessen: Früher Hip-Hop hat Kraftwerk gesampelt. Als deren Album „Trans Europa Express“ Ende der 1970er Jahre die Bronx erreichte, wurden bei dem Hip-Hop-Pionier Afrika Bambaataa daraus Breakbeats. Elektronische Musik war eine wichtige Grundlage für Hip-Hop.

In Ihrer Doktorarbeit behandeln Sie ein Spezialthema des Hip-Hop. Es geht um religiöse Symbole in amerikanischen Videos. Was hat Sie an dem Thema gereizt?

Simonow: Religion als gesellschaftliches Phänomen hat mich schon immer interessiert. Gerade die US-amerikanischen Rapper erschaffen in ihren Videos eine hochgradig sakrale Umgebung. In meiner Arbeit vertrete ich die These, dass sie diese Inszenierung nicht wählen, um eine religiöse Aussage zu formulieren, sondern oft als Ausdruck von Unterschiedlichkeit, Widerstand oder Sozialkritik. Auf diese Weise erscheinen die Hip-Hop-Superstars zudem als mächtig und überlegen und binden zugleich Fans momenthaft zu einer Gemeinschaft.

Das Zelebrieren der Macht ist gerade im Gangsta-Rap von immenser Bedeutung.

Simonow: Ja, es geht um die Frage, wer hat die Macht? In den USA spielen dabei, vereinfacht gesagt, die Geschichte der Sklaverei und Rassismus heute eine wichtige Rolle. Nach dem Motto: Ihr gebt uns das Gefühl, nichts wert zu sein. Wir demonstrieren euch das Gegenteil und Gangsta-Rap in Amerika hat das mit viel Aggression ausgedrückt. Rassismus und andere gesellschaftliche Missstände sind auch jenseits von Gangsta-Rap im Hip-Hop Thema. In sakralen Inszenierungen findet sich das wieder. Die Rapper zeigen sich in den Musikvideos als Teufel, als Zombie-Bischof, wie Dr. Dre und B-Real, schmücken sich mit altägyptischen Symbolen wie Kanye West, oder mit Heiligenschein oder Dornenkrone. Musikvideos sind dabei Marketinginstrumente und Kunstwerke zugleich. Um ihre Botschaft in den Videos umzusetzen, fließt sehr viel Geld. Das Budget für einen Clip konnte Mitte der 1990er dann gut und gerne mal so hoch sein wie für den Showdown eines Hollywoodfilms.

Schätzen Sie Hip-Hop auch privat oder ist die Beschäftigung damit nur ein Job?

Simonow: Ohne emotionale Beteiligung wäre meine Arbeit nicht entstanden. Ich höre und ich mag Hip-Hop. Was aktuellen deutschen Rap anbelangt, habe ich Megaloh für mich entdeckt. Jedoch bin ich mit den Platten der 1990er und frühen 2000er Jahre sozialisiert worden, mit Pete Rock und De La Soul zum Beispiel. Da werde ich zum Fossil und höre fast nur noch die alten Stücke.

Wann haben Sie Hip-Hop für sich entdeckt?

Simonow: 1996 bei einem Stadtfest. Ich war 13. Es lief Musik, die ich zuvor noch nicht gehört hatte. Ich habe gefragt, wer das ist, und machte Bekanntschaft mit dem Wu-Tang Clan. Damals lief deren Debütalbum „Enter the Wu-Tang, 36 Chambers“, eine ziemlich rohe Angelegenheit. Die Musiker hatten in manche Tracks die Klänge von Faustschlägen und Tritten reingemixt und mir hat das gefallen. Mein Onkel hat mir die CD wenig später zum Geburtstag geschenkt und erzählt, der Verkäufer im Geschäft habe ihn angeguckt, als würde er etwas Verbotenes haben wollen. Verboten war es ja in dem Sinne, als dass das Album einen „Parental-Advisory“-Hinweis trug — ein Zeichen, dass es vom Plattenlabel als für Jugendliche nicht geeignet ausgewiesen wurde. Und da wollte mein Onkel schon wissen, was ich mir da so ausdrücklich gewünscht hatte.

Was genau hat Sie am Hip-Hop gepackt?

Simonow: Es waren vor allem die Wut und die Energie, die bei mir als pubertierendem und rebellischem Teenager einen Nerv getroffen haben. Überhaupt mag ich Hip-Hop noch heute aufgrund seiner Emotionalität und wegen seiner oft intelligenten und kreativen Texte.

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