Corona-Pandemie Wie riskant sind die Öffnungen zu Pfingsten?

Berlin · Auch in NRW gibt es in der Corona-Krise weitere Öffnungsschritte. Doch Fachleute befürchten einen Jojo-Effekt.

 In Münster ist auch Gastronomie in geschlossenen Räumen wieder erlaubt.

In Münster ist auch Gastronomie in geschlossenen Räumen wieder erlaubt.

Foto: dpa/Bernd Thissen

Trotz sinkender Werte sind die Pandemie-Fallzahlen in Deutschland nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts insgesamt weiter zu hoch.

„Die Gefahr ist noch nicht gebannt“, sagte Präsident Lothar Wieler am Freitag. Das gelte auch für die Pfingstfeiertage mit ersten Öffnungsschritten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass das Virus wieder Oberhand gewinnt, weil wir auf einmal zu viel wollen“, sagte Wieler.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief die Menschen dazu auf, sich trotz sinkender Corona-Zahlen an Pfingsten weiter vor Ansteckungen zu schützen. „Genießen Sie die Feiertage, genießen wir gemeinsam die Feiertage, aber bleiben wir dabei vorsichtig“, sagte Spahn. Es gelte, sich vor allem draußen zu treffen und sich regelmäßig testen zu lassen. Wenn die Infektionszahlen weiter herunter- und die Impfzahlen hochgingen, „dann haben wir Aussicht auf einen guten Sommer“.

In NRW ist wieder Außengastronomie erlaubt - etwa in Düsseldorf

In gut der Hälfte aller kreisfreien Städte und Kreise in NRW können zum Start des Pfingstwochenendes ab Freitag wieder Gäste auf Restaurantterrassen und in Biergärten bewirtet werden. Die Landeshauptstadt Düsseldorf rechnet trotz der durchwachsenen Wetterprognosen mit einer vollen Altstadt. Auch Essen, Oberhausen und Mönchengladbach gehören zu den Städten, die von der Notbremse gehen und Öffnungen bei der Außengastronomie erlauben können. Zugang bekommt jedoch nur, wer ein negatives Schnelltestergebnis vorlegen kann oder vollständig geimpft oder genesen ist.

Nach Einschätzung des Gaststättenverbandes Dehoga macht aber nur ein gutes Drittel der Gastronomen von der Öffnungsmöglichkeit Gebrauch, weil es für viele unwirtschaftlich sei. Ein Grund für maue Umsatzaussichten bei reinem Außengastronomiebetrieb dürfte auch das Wetter werden: Der Deutsche Wetterdienst sagt ab Freitagabend Regen voraus.

Wo die Inzidenz an fünf aufeinanderfolgenden Tagen stabil unter 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche liegt, können zusätzlich zur Außengastronomie auch Hotels, Ferienwohnungen und Campingplätze unter Auflagen wieder an den Start gehen. In Münster, wo die Sieben-Tages-Inzidenz stabil und deutlich unter 50 gesunken ist, dürfen Gastronomen auch drinnen wieder öffnen.

Laut Wieler sind die bisherigen Erfolge bei der Eindämmung unübersehbar: Die Inzidenzen in allen Bundesländern und Altersgruppen gingen zurück. „Glücklicherweise im Moment deutlich auch bei den Jüngeren“, sagte Wieler. Es würden weniger Ausbrüche in Schulen und Kitas gemeldet. Diese seien insgesamt auch kleiner. Es gebe auch einen Rückgang der Patientenzahlen in Kliniken.

Doch immer noch gebe es auch rund 1300 Corona-Tote pro Woche. „Das ist immer noch eine schrecklich hohe Zahl“, sagte Wieler. Insgesamt hätten bisher rund 87.000 Menschen in Deutschland durch die Pandemie ihr Leben verloren. Inzidenzen und Sterblichkeit seien seit Mitte der zweiten Welle in Regionen, die besonders benachteiligt seien, am höchsten. Mögliche Gründe hierfür seien Armut, Vorerkrankungen, Lebensverhältnisse wie Wohndichte, aber auch Arbeitsbedingungen wie prekäre Beschäftigungen.

Ein Blick auf die aktuelle Lage in Deutschland: Laut den RKI-Zahlen vom Freitagmorgen haben die Gesundheitsämter in Deutschland binnen eines Tages 8769 weitere Infektionen gemeldet. Eine Woche zuvor waren es 11.336. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz wird mit 67,3 angegeben (Vortag: 68,0; Vorwoche: 96,5). Allerdings unterscheidet sich die Situation regional sehr stark.

Positiv wertete Wieler, dass die Impfbereitschaft mit 73 Prozent der vom RKI Befragten sehr hoch sei. Weitere zehn Prozent würden sich eher als nicht impfen lassen. „Das ist sinnvoll, wirksam und verantwortungsvoll“, sagte Wieler.

12,5 Prozent der Bundesbürger seien vollständig geimpft. Es müssten aber 80 Prozent werden, die entweder geimpft seien oder die Infektion durchgemacht hätten. „Dann kriegen wir dieses Virus unter Kontrolle.“ Es gelte, den Sommer gemeinsam dafür zu nutzen, um die Virusausbreitung zu unterdrücken. „Damit wir gut durch Herbst und Winter kommen.“

Spahn wies auf größere Fortschritte der Impfkampagne als von der Regierung angekündigt hin. Er mahnte zu Geduld, nachdem Ärztefunktionäre berichtet hatten, dass viele Patientinnen und Patienten bei der oft kurzfristigen Terminvergabe ungeduldig reagierten. Spahn erläuterte, derzeit gebe es rund eine Million Impfungen jeden Tag. An Weihnachten seien null Prozent aller Deutschen mindestens einmal geimpft gewesen. An Ostern seien es 12 Prozent gewesen. „Zu Pfingsten werden es 40 Prozent sein, und zum Start in das Sommerquartal werden aus heutiger Sicht mindestens 50 Prozent einmal geimpft sein.“

Rechne man ein, dass nicht alle Erwachsenen als impfwillig gelten und für Minderjährige unter 16 noch kein Impfstoff zugelassen sei, dann ergebe sich, dass nun zwei Drittel aller Impfwilligen und Impfbaren eine erste Impfung bekommen haben. „Wunder sind nicht zu erwarten“, sagte Spahn. Aber die Entwicklung zeige eine deutliche Dynamik.

„Dass wir nach jetzigem Stand noch deutlich vor Ende des Sommers, noch vor Ende September jedem in Deutschland, der will, ein Impfangebot werden gemacht haben können, das jedenfalls hätte vor zwei Monaten noch kaum jemand erwartet“, betonte Spahn.

Wieler wies darauf hin, alle Maßnahmen vom Maskentragen über Tests bis hin zum Impfen blieben wichtig. „Diese Pandemie ist wie ein prall gefüllter Luftballon, den wir gemeinsam unter der Wasseroberfläche halten müssen“, so der RKI-Präsident. Mittlerweile habe dieser Ballon nicht mehr ganz so viel Luft. „Aber wenn wir ihn jetzt loslassen, springt er immer noch unkontrolliert über die Wasseroberfläche.“

Corona in Deutschland: Droht ein Jojo-Effekt und die vierte Welle?

Trotz der positiven Entwicklung hatte etwa das RKI zuletzt wiederholt Vorsicht angemahnt. Die Sorge: ein Rückfall durch allzu voreilige Öffnungsschritte. Wenn Menschen die Pandemie nicht mehr ernst nehmen, könnten die Zahlen angesichts des immer noch hohen Anteils an Ungeimpften wieder hochschnellen. Manche Fachleute befürchten einen Jojo-Effekt: Aus einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 könnte demnach schnell wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz über 100 werden - einige Lockerungen müssten dann gemäß der Notbremsen-Regelung wieder zurückgenommen werden. Auch ein Berliner Gastronom zeigt sich der Gefahr bewusst: Mit allzu vielen Vorräten decke er sich vor der Öffnung der Außenterrasse lieber erst einmal nicht ein.

Könnte eine größere vierte Welle auch schon vor dem Herbst drohen? „Die Lehre des letzten Sommers und Herbstes ist es, aufmerksam zu bleiben“, erklärt Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie auf dpa-Anfrage. „Die indische Variante mit höherer Infektiosität hat das Potenzial, eine neue Welle auszulösen, weil derzeit das Impfprogramm noch nicht weit genug fortgeschritten ist.“ Es sei gut, dass nur nach und nach Maßnahmen zurückgenommen würden - daher erwarte er „zumindest keine große Welle“.

Die in Indien entdeckte Variante (B.1.617) hat nach aktuellsten RKI-Daten, die sich auf die Lage vor etwa vor zwei Wochen beziehen, einen Anteil von zwei Prozent an den untersuchten Proben. Tendenz steigend. Auch die mittlerweile in Deutschland vorherrschende Variante aus Großbritannien hatte klein angefangen.

Die Physikerin Viola Priesemann sagte dem „Spiegel“ kürzlich: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Immunitätsgewinn nicht weglockern.“ Jedes kleine bisschen mehr an Infektionen, die nun zugelassen würden, könne den Rückgang auf einen Wert unter die Inzidenz von 50 deutlich verlangsamen. „Wir müssen also genau überlegen, welche Freiheiten wir schon jetzt nehmen.“ Obwohl auch sie einen guten Sommer erwarte, bleibe aus wissenschaftlicher Sicht ein gewisses Risiko.

(dpa)
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