Corona-Pandemie Diese neue Abstandsregel sorgt bei Gastronomen in NRW für Ärger

Velbert · Monatelang waren die Restaurants in NRW geschlossen, nur Außerhaus-Verkauf durfte angeboten werden. Nun sind die ersten Öffnungsschritte erfolgt. Doch ein Paragraf der Corona-Schutzverordnung lässt Gastwirten die Haare zu Berge stehen.

 Das wird nachgemessen: Sascha Stemberg (l) und sein Vater Walter, beide Spitzenköche, zeigen den in NRW laut Corona-Regeln vorgeschriebenen Mindestabstand von zwei Metern.

Das wird nachgemessen: Sascha Stemberg (l) und sein Vater Walter, beide Spitzenköche, zeigen den in NRW laut Corona-Regeln vorgeschriebenen Mindestabstand von zwei Metern.

Foto: dpa/Rolf Vennenbernd

Es sind nur 50 Zentimeter, mehr nicht. Ein kleiner Abstand, könnte man meinen. Der Frust aber ist groß. „Unbegreiflich“, flucht Walter Stemberg, Restauranteigentümer aus Velbert. „Ein Riesenproblem“, sagt Hendrik Eggert, Gastronom aus Münster. Andere Gastwirte äußern sich ähnlich - und schütteln den Kopf.

Es geht um eine Regel in der Corona-Schutzverordnung von Nordrhein-Westfalen, der zufolge Gäste, die drinnen an verschiedenen Tischen sitzen, mindestens zwei Meter entfernt voneinander sein müssen. Zwei Meter - also 50 Zentimeter mehr als in anderen Bundesländern, ob in Hessen oder Rheinland-Pfalz. 50 Zentimeter, wodurch die Gastwirte die Tische umschieben müssen und Sitzplätze verlieren - weil weniger Tische als zuvor in den Raum passen. Der Branchenverband Dehoga schätzt, dass durch die im vergangenen Jahr eingeführte 1,50-Meter-Regel im Vergleich zum Vorkrisenniveau 40 Prozent der Sitzplätze wegfallen und dass es durch die zusätzlichen 50 Zentimeter zu weiteren 20 Prozentpunkten an Platzeinbußen kommen werde.

Restauranteigentümer Stemberg und sein Sohn Sascha, der das Sterne-Restaurant Haus Stemberg betreibt, können diesen NRW-Sonderweg nicht nachvollziehen. „In der Coronakrise haben wir Verständnis für die Politik gehabt, wir haben alle Vorschriften erfüllt“, sagt Stemberg senior. „Aber diese neue Vorschrift ist unsinnig, das geht zu weit.“ Er weist darauf hin, dass ohnehin nur noch Genesene, Geimpfte oder Getestete bewirtet werden dürfen. Das Infektionsrisiko sei dadurch deutlich geringer als im vergangenen Jahr, als diese Gruppen noch nicht relevant waren. Auch im vergangenen Jahr sei die Gastronomie kein Pandemietreiber gewesen. Nun seien die Bedingungen für einen Restaurantbesuch ohne Infektionsrisiko noch besser. „Und trotzdem verschärft das Land die Regeln“, sagt Stemberg.

64 Sitzplätze drinnen hatte das Restaurant vor der Corona-Krise. Durch die 1,50-Meter-Regel musste auf 46 Plätze reduziert werden. Wegen der neuen Zwei-Meter-Regel habe das Restaurant so umbauen müssen, dass mehr als 15 weitere Plätze wegfielen, sagt Stemberg senior. Über die Hälfte der ursprünglichen Sitzplätze fallen damit weg.

Sohn Sascha, dem der Vater den Betrieb vor einigen Jahren übergab, steht nun vor schweren Wochen: „Ein wirtschaftlicher Betrieb ist mit so wenigen Plätzen nicht möglich“, sagt der 41-Jährige. Eigentlich müsste er einigen Mitarbeitern aus der 20-köpfigen festangestellten Belegschaft kündigen. „Aber das wäre absurd: Wir haben ein Jahr lang alles dafür getan, damit wir niemanden verlieren und die Qualität hoch halten können - und jetzt ist die Pandemie fast überstanden, und wir stolpern über eine sinnfreie Regel, die niemand versteht.“ Er wolle daher alles tun, um keine betriebsbedingten Kündigungen aussprechen zu müssen.

Für das Haus Stemberg ist die Zwei-Meter-Regel noch Zukunftsmusik, denn der Kreis Mettmann, in dem Velbert liegt, ist mit 81,1 (Stand Mittwoch) noch ein gutes Stück entfernt von einer stabilen 50er Sieben-Tage-Inzidenz - erst unter dieser Schwelle dürfen die Restaurants auch innen öffnen. Vater und Sohn Stemberg ist es aber schon jetzt wichtig, Klarheit zu haben - auch damit sie für eine baldige Öffnung planen können.

Für Gastwirte in Münster, Coesfeld und Soest ist die Zwei-Meter-Regel hingegen seit einigen Tagen schon gelebter Alltag. Hendrik Eggert betreibt in Münster unter anderem ein kleines Fischrestaurant, das „Sylt am Bült“. Seit dem vergangenen Wochenende ist in dem Lokal auch drinnen offen.

Im „Sylt am Bült“ liegt die Tischzahl aber nur noch bei sechs. Vor der Pandemie waren es zehn. Durch die 1,50-Meter-Regel sank die Zahl auf acht, und nun sind es noch mal zwei weniger. In einem angrenzenden Bistrobereich sind es nur noch drei Tische statt ursprünglich fünf. Dank des Außenbereichs mit zusätzlichen Plätzen sei der Betrieb noch rentabel, sagt Eggert. „Aber wenn es regnet und die Leute nur drinnen bedient werden können, ist das ein Defizitgeschäft.“

Der Gastwirt versteht nicht, dass das Landesgesundheitsministerium der ohnehin strauchelnden Restaurantbranche so einen Stock zwischen die Beine schmeiße. „Es muss doch darum gehen, dass die Politik uns unterstützt - nun aber ist das Gegenteil der Fall.“ Wie die Stembergs aus Velbert betont auch Eggert, dass er absolut kein Gegner des Corona-Kurses von Bund und Ländern sei. Die 1,50-Meter-Abstandsregel habe sich im vergangenen Jahr bewährt, sagt er. Die jetzige Verschärfung sei aber zum Haareraufen.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) meldet sich ebenfalls kritisch zu Wort: Durch die Zwei-Meter-Regel werde der Branche das Geschäft noch weiter erschwert. „Die Landesregierung muss zumindest den alten Abstand wieder herstellen“, fordert Haakon Herbst, Regionalpräsident des Dehoga NRW.

Und was sagt die Landesregierung? Das zuständige Gesundheitsministerium erklärt die Zwei-Meter-Regel damit, dass bei ihrer Festlegung die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz noch bei rund 100 gelegen und dass man eine überregionale „Sogwirkung“ von den ersten offenen Restaurants befürchtet habe. Es werde derzeit geprüft, ob die Regelung bei der aktuell positiven Inzidenzentwicklung angepasst werden könne.

(dpa)
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