Schrille Töne: Gastgeber Ukraine streitet um ESC

Kiew (dpa) - Diesen Kampf hätte sich der frühere Boxweltmeister Vitali Klitschko gerne erspart. Mit harten Bandagen fightet der Bürgermeister von Kiew derzeit dafür, dass der Eurovision Song Contest (ESC) im kommenden Jahr in seiner Stadt stattfindet.

Schrille Töne: Gastgeber Ukraine streitet um ESC
Foto: dpa

Und eigentlich hatte sich Klitschko nach dem Sieg der ukrainischen Sängerin Jamala („1944“) im Mai in Schweden schon auf die Gastgeberrolle vorbereitet.

Doch mittlerweile streiten drei Städte des Landes verbissen um den Gesangswettbewerb: außer Kiew noch Odessa und Dnipro. Nur noch rund acht Monate bleiben bis zu dem traditionellen Showevent - der Ukraine läuft die Zeit davon.

Schon am 1. August sollte feststehen, wo 2017 die internationale Musikbranche gastiert. Vieles spricht für Kiew. Bereits 2005 hatte die Millionenstadt den Wettbewerb gestemmt - damals war die Ukraine nach dem Sieg von Ruslana („Wild Dances“) erstmals Gastgeberin.

Die Hauptstadt der früheren Sowjetrepublik verfügt über genügend Hotels, betreibt zwei Flughäfen, und der öffentliche Nahverkehr entspricht internationalen Standards. Nur der Sportpalast, Schauplatz von 2005, genügt nicht mehr den heutigen Ansprüchen. Als möglicher Konzertort gilt daher ein Ausstellungsgelände fern vom Stadtzentrum.

Doch beim ESC in der Ukraine geht es um weit mehr als Tanz und Lieder. Seit gut zwei Jahren tobt im Osten des Landes ein Krieg zwischen Regierungseinheiten und prorussischen Separatisten. Der Konflikt kostete schon etwa 10 000 Menschen das Leben. Russland annektierte zudem gegen den Protest des Westens die Halbinsel Krim.

Angesichts dieser Konflikte verspricht sich das von Wirtschaftskrise und Krieg ausgezehrte Land einen internationalen Prestigegewinn vom ESC. Längst ist der Austragungsort auch eine politische Frage.

Das zeigt der Geheimfavorit Odessa. Gouverneur des Gebiets ist der frühere Präsident der Südkaukasusrepublik Georgien, Michail Saakaschwili. Um die „Musikolympiade“ in die Stadt zu holen, hat sich der ehemalige Staatschef mit ukrainischem Pass sogar mit einem Feind verbündet: mit Bürgermeister Gennadi Truchanow. Demonstrativ treten die beiden Politiker gemeinsam vor die Kameras.

„Wir haben politische Differenzen und eine unterschiedliche Sicht auf die Amtsführung, doch wenn es um das Wohl Odessas und seiner Bürger geht, kann es keine Uneinigkeit geben“, verkündet Saakaschwili. Und in Richtung Klitschko giftet er: Gegen Odessa werde eine massive Propagandaschlacht geführt. „In Kiew ist es gefährlicher als in Odessa“, meint Saakaschwili mit Blick auf die Kriminalitätsraten in der Hauptstadt. Dass Odessa Probleme mit der Infrastruktur hat und der neue Flughafen-Terminal nicht fertig ist, spielt er herunter.

Klitschko keilt prompt zurück. „Kann ein Land erfolgreich sein, wenn die Entscheidung für eine Kulturveranstaltung unter dem Tisch getroffen wird - sprich: leise und undurchsichtig?“, fragt er in einem Beitrag für die einflussreiche Internetzeitung „Ukrainskaja Prawda“. Und seine Stadtverwaltung schiebt ein Video auf Ukrainisch und Englisch nach, das Kiew als hippe europäische Großstadt zeigt.

Doch wenn zwei sich streiten, freut sich vielleicht der Dritte? Das hofft jedenfalls das Oberhaupt der Großstadt Dnipro, Boris Filatow. Der Bürgermeister des früheren Dnjepropetrowsk lässt nach der vierten verschobenen Verkündung des Austragungsorts seiner Entrüstung freien Lauf. „Das ganze Land hat fast zwei wertvolle Monate verloren! Schimpf und Schande!“, schreibt er bei Facebook.

Inzwischen halten Kulturminister Jewgeni Nischtschuk und andere Mitglieder des Organisationskomitees genaue Daten zurück. Auf Fragen nach dem Termin heißt es dort nur „In nächster Zeit“ oder „Bald“.

Vizeregierungschef Wjatscheslaw Kirilenko hofft inständig, dass sich das Komitee in Kürze festlegt. Mit dem ESC könne die Ukraine auch ihre Attraktivität für Investoren zeigen, trotz des Krieges im Osten. „Denn der Grand Prix ist nicht nur Musik, sondern auch ein politisches Ereignis, das zeigt, dass die Ukraine lebt und Menschen aus anderen Ländern Sicherheit garantieren kann“, meint Kirilenko.

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