Digitale Verunsicherung Von Ratgebern, deren Wissen keine Ahnung stört

Guter Rat ist billig. Im Internet genügen zur Anfrage ein paar Suchbegriffe, um das Spektrum der Hilfestellungen aufzulisten. Die Bandbreite reicht vom platten Reifen über PC- und Festplattenfehler bis zum ergoogelten Schlaganfall.

Digitale Verunsicherung: Von Ratgebern, deren Wissen keine Ahnung stört
Foto: Sergej Lepke

Keine Frage ist zu dumm, um nicht von der Antwort übertrumpft zu werden. Beim tropfenden Wasserhahn, werden wir belehrt, könne es sich um die Dichtung handeln, und beim Riss in der Windschutzscheibe wird als Ursache ein Stein vermutet. Das ist nur bedingt hilfreich, genau wie die überflüssige Bemerkung, dass es Spezialisten für solche Defekte gibt.

Wer nichts zu sagen hat, tut es als vermeintlicher Ratgeber in epischer Breite und verwandelt die deutsche Sprache gerne in ein orthografisches, grammatikalisches und semantisches Trümmerfeld. Glasbruch auf höchster Ebene. Und dem steten Tropfen bleibt nichts zu höhlen. Noch schlimmer als Ignoranten sind die Hyperspezialisten. Sie schöpfen elaboriert und unverständlich aus dem weitschweifenden Fundus der Theorie, kennen Normen und Zertifizierungen, weigern sich aber konsequent, Stellung zu beziehen.

Wer beispielsweise die Symptome einer Vireninfektion auf seinem Rechner feststellt und sich an die PC-Doktoren wendet, lernt, dass vor der Hilfe die Wahl der Qual kommt. Die Zuchtmeister der Ahnung treiben den User mit Fachchinesisch und Drohszenarien in die Enge, bis er mittels ihrer eigenentwickelten unseriösen Scanprogramme alles offenbart, was er je auf seinem Rechner getrieben hat. Nicht der Virus ist der Spion, sondern die Angst davor. Letztlich hilft nur löschen, formatieren oder ignorieren.

Solch ausweglose Panik kennen auch Menschen, die im Internet nach einer einfachen Antwort für einen physischen Schmerz suchen. Doch Migräne oder Muskelkater sind der Netzgemeinschaft nicht genug. Hier strebt man nach mehr: Ohne Hirntumor oder Thrombose wird keiner aus der Web-Praxis entlassen. Furcht, so die medizinische Leere, ist nur der Anfang vom Ende.

Ein bisschen Leid muss sein, wenn es schon nichts kostet außer Nerven. Guter Rat ist halt teuer, vor allem, wenn er billig ist.

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