Digitale Verunsicherung Von der Wahrheit, die keine Mehrheit findet

Unschuldig weiß erscheint Googles Fenster zum Internet. Ausblick auf alles, was wir wissen wollen. Doch wer Wahrheit sucht, findet sie nicht in der Suchmaschine. Authentizität hat in den Shortlists der Ergebnisse keinen Platz.

Digitale Verunsicherung: Von der Wahrheit, die keine Mehrheit findet
Foto: Sergej Lepke

Hier herrscht das Gesetz der Mehrheit. Was den stärksten Zuspruch findet, wird nach vorne geschoben. Googles Seite eins ist Meinungsmacher Nummer eins. Hier bestätigt sich selbst, was keine Belege hat. Und weiter prüft keiner: Gefallen statt Gedanken. Das ist konsequent, denn was viele wollen, ebnet den Weg zum Erfolg. Ob Suchmaschine, Social Media oder Bewertungsportal, sie bedienen den Geschmack der Masse, das ist ihre Wahrheit: ein Klacks, wenn es um Klicks geht.

Was oben steht, ist glaubwürdig. Nicht die Nachricht, sondern die Geschichte zählt. Per Storytelling lässt sich alles erzählen. Hauptsache, es findet Leser. Die aber lieben den Groschenroman. Yellow Press im Internet: Der reiche Täter, das arme Opfer, der korrupte Konzern und der betrogene Kunde. der größte Allgemeinplatz ist platt genug für die Community. Was alle für gut halten, wird schon stimmen, entscheiden die Internetdienste und lassen keinen Zweifel zu, dass ihre Auswahl völlig unabhängig von richtig und falsch, bar jeder Ahnung und frei von Moral ist. Sie interessieren sich nicht für Botschaften, sie verbreiten sie nur.

Die Neutralität der Betreiber lässt alles zu: stupide Vorverurteilungen und böse Nachreden, extreme Positionen, absurde Verschwörungstheorien und jede ab-struse Meinung, die Zuspruch findet. Dass es bei all dem um Wahrheit ginge, ist eine Lüge. Hauptsache, es lässt sich belegen. Und im Web lässt sich für alles die richtige Quelle finden. Wir kapitulieren vor der Vielfalt der Lüge, der Bequemlichkeit der Rezeption, der Trägheit der Geschichte. Was oft genug aufgerufen, abgespielt, geteilt und geliked wird, erhält den Nimbus der Echtheit. Mehr braucht es nicht in einer Welt, deren inneren Werte berechenbar sind. Die Märchenerzähler

beherrschen die Moral. Wer sie sucht, findet sie in Wikipedia. Dort hat sie Relevanz, aber keine Kriterien. Das ist eine Frage der Ethik. Schuld aber will keiner sein. So nah sind die Treffer der Suche am wahren Leben.

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