Fakten & Fälschungen Das Märchen vom gemobbten Rassisten-Kind

Neuland. Haben Sie die herzerwärmende Geschichte des 11-jährigen Keaton Jones aus Maynardville (US-Bundesstaat Tennesse) mitbekommen, der in einem Video seiner Mutter bittere Tränen über das Mobbing an seiner Schule vergoss, und daraufhin Unterstützung von Prominenten aus den ganzen USA erhielt (siehe goo.gl/okH4EZ), von Justin Bieber über Katy Perry bis zu Nickelback und Victoria Beckham?

 Justin Bieber war einer der Prominenten, die den 11-jährigen Keaton Jones aus Maynardville (US-Bundesstaat Tennesse), der in einem Video seiner Mutter bittere Tränen über das Mobbing an seiner Schule vergoss, unterstützte.

Justin Bieber war einer der Prominenten, die den 11-jährigen Keaton Jones aus Maynardville (US-Bundesstaat Tennesse), der in einem Video seiner Mutter bittere Tränen über das Mobbing an seiner Schule vergoss, unterstützte.

Foto: BRENDAN MCDERMID

Innerhalb weniger Tage wurde das Video mehr als 22 Millionen mal aufgerufen. Und es war — wie Sie sich denken können, denn sonst hätte es ja keinen Platz in dieser Kolumne gefunden — einfach zu rührend schön um wahr zu sein.

Das heißt, vielleicht waren das Video und die kurze Kampagne für den Elfjährigen, die unter #standwithkeaton in den sozialen Medien lief, einfach auch nur „sehr 2017“, wie Hannah Jane Parkinson im Guardian kommentierte (siehe goo.gl/Ys9vz1), womit sie einen Weiterverbreitungsprozess von halbgaren Boulevard-Ereignissen aus sozialen Medien in professionale Nachrichten-Medien beschrieb, der sich trotz aller Aufmerksamkeit für „Fake News“ im ablaufenden Jahr dutzendfach ereignete.

Im Fall Keaton Jones stieg in Deutschland auch die „Zeit“ mit in die Verbreitung ein (siehe goo.gl/9DB5tD), fühlte sich aber nicht bemüßigt ebenfalls aufzuschreiben, was sich anschließend herausstellte: Im Fall Keatons, der unter Tränen beschrieb, er werde wegen seiner Nase und einer großen Narbe von Mitschülern mit Essen beworfen und Milch übergossen, entstand schnell der Verdacht, der Junge könne möglicherweise seine Mitschüler an der Horace Maynard Middle School durch rassistische Sprüche provoziert haben.

Im Nachgang zu der rührend schönen Geschichte kam heraus: Es gibt Fotos, auf denen seine Mutter und die Familie stolz mit der Kriegsflagge der Konföderierten posieren, einem Symbol weißer Südstaaten-Rassisten. Der Vater, ein offenbar übler weißer Rassist, sitzt seit 2015 wegen schwerer Körperverletzung in Haft. Die Münchner Boulevard-„Abendzeitung“ gab immerhin entsprechende Berichte des US-Videoportals TMZ an ihre Leser weiter (goo.gl/ChtKuq). Die Geschichte endet jedoch ganz anders.

Inzwischen steht fest: Fake-Accounts versuchten mit Keatons Geschichte „Spenden“ zu sammeln. Die Mutter wird beschuldigt, daran beteiligt zu sein. Und in der Schule wurden die Konflikte unter den Kindern vom Schulleiter längst professionell aufgearbeitet (goo.gl/KuzNb1). Was bleibt, ist heiße Luft.

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