Das Lumia 920 im Test: Nokias wuchtige Rückkehr

Mit der neuen Generation der Lumia-Smartphones mit Windows Phone 8 will Nokia auf die Jagd nach Android und IOS gehen. Ob das gelingt, zeigt der WZ-Test des aktuellen Flaggschiffs Lumia 920.

Düsseldorf. Das Lumia 920 soll Nokia wieder nach vorne bringen und verloren gegangene Marktanteile zurückholen. Keine leichte Aufgabe im Smartphone-Segment, das inzwischen mit Abstand vom Google-Mobilsystem Android dominiert wird. Mit den neuen Modellen der Lumia-Reihe (920, 820 und bald 620) hat Nokia die ersten Modelle mit dem neuen Betriebssystem Windows Phone 8 auf dem Markt gebracht. Wir haben Nokias neues Flaggschiff Lumia 920 getestet. Überzeugen Telefon und Betriebssystem?

Die Basisdaten

Das Lumia 920 ist groß, ziemlich groß (13x7x1,1 Zentimeter h/b/t), und mit 185 Gramm nicht gerade ein Leichtgewicht. Zum Vergleich: ein aktuelles IPhone bringt rund 70 Gramm weniger auf die Wage. Die aus einem Stück bestehende Polycarbonat-Schale macht einen wertigen Eindruck, ebenso das gewölbte Displayglas. Das 4,5 Zoll (ca. 11,5 cm) messende Display zeigt kräftige Farben und reagiert auf jede Eingabe — mit Einschränkungen sogar wenn der Benutzer Handschuhe trägt. Die Auflösung beträgt 1280x768 Pixel, was laut Nokia einer Pixeldichte von 332 Bildpunkten pro Zoll entspricht. Die Darstellung ist einwandfrei — scharfe Bilder, gute Kontraste und selbst stark vergrößerte Schrift wird ohne Schlieren dargestellt.

Im Inneren des 920 arbeitet ein auf 1,5 Gigaherz getakteter Zweikern-Prozessor von Qualcomm, der zusammen mit einem Gigabyte Arbeitsspeicher für einen flotten Betrieb sorgt. Ruckler und Wartezeiten traten im Test nicht auf. Das mag auch daran liegen, dass Windows Phone 8 auf die verbaute Hardware abgestimmt ist. Von Haus aus kommt Nokias Flaggschiff mit 32 Gigabyte internem Speicher. Wer mehr will, kann nur in die Wolke ausweichen — einen Steckplatz für Erweiterungskarten gibt es nicht.

Das Lumia 920 funkt auf fast allen gängigen Frequenzen von GSM bis LTE und bietet per NFC Nahbereichsfunk für den Datenaustausch mit anderen Telefonen und Peripheriegeräten. Im Praxistest punktet es mit gutem Empfang und flottem Internetzugang. Positiv fällt auch die Sprachqualität bei Telefongesprächen auf — nicht bei jedem Smartphone eine Selbstverständlichkeit.

Für die Stromversorgung des bis oben hin mit Technikbauteilen vollgestopften Schwergewichts sorgt ein 2 Amperestunden fassender fest eingebauter Akku. Die angegebenen Standbyzeiten konnten mit dem Testgerät im Alltag nicht erreicht werden. Nach einem Tag im Normalbetrieb war in der Regel eine Ladung fällig. Neben dem Aufladen über Micro-USB unterstützt das Lumia 920 auch drahtloses Laden via Induktion über eine (nicht mitgelieferte) Ladestation.

Die Synchronisierung mit dem PC funktioniert problemlos per Zune, auf dem Mac mit dem Programm Windows Phone.

Oberfläche und Benutzerführung

Mit der neuen Lumia-Serie setzt Nokia bei seinen Oberklasse-Modellen nur noch auf Windows Phone 8 und damit in diesem Preissegment das hauseigene Symbian endgültig in den Ruhestand. Windows Phone 8 ist eckig, bunt und immer in Bewegung. Die simple Kachel-Optik ist ansprechend, die konfigurierbaren „Live Tiles“ genannten dynamischen Icons zeigen Status-Updates der Kontakte an, das Wetter, den Akkustand oder eine Diaschau der Fotoalben. Dazu kann die Größe und Anordnung der Kacheln auf dem Home-Bildschirm frei gewählt werden, sodass sich jeder seinen persönlichen Startbildschirm zusammenstellen kann. Auf der Kontakte-Kachel wechseln ständig die Bilder der Freunde, wichtige Termine zeigt die Kalender-Kachel auf einen Blick. Wie bei Android sind die am häufigsten genutzten Informationen auf einen Blick abrufbar. Interessant ist die Funktion, einzelne Kontakte auf dem Home-Bildschirm abzulegen. So hat man etwa enge Freunde auf einen Klick verfügbar und kann sich deren neue Nachrichten auf einer eigenen Kachel anzeigen lassen.

Schnell auffindbar sind auch die wichtigsten Systemeinstellungen. Wobei verwandte Optionen nicht immer am gleichen Ort liegen müssen. Die Bildschirmeinstellungen für Helligkeit, Empfindlichkeit, Hintergrundbild und Farbe liegen in vier verschiedenen Kategorien. Da ist Suchen angesagt. Ansonten zeigt sich Windows Phone 8 einsteigerfreundlich.

Wer schon einen Microsoft-Account besitzt, kann ihn mit dem Telefon verknüpfen und seine Kontakte importieren. Wer noch keinen hat, muss einen anlegen, um Zugang zum Appstore und weiteren Microsoft-Angeboten zu bekommen. So kommt man völlig unverhofft auch in den Besitz einer hotmail-Adresse und einiger weiterer Überraschungen. (Mehr dazu beim Punkt Datenschutz und Nutzerkontrolle.) Das Adressbuch kann Kontakte aus verschiedenen Quellen (Telefonbuch, Skype, Facebook, etc.) verknüpfen und gemeinsam anzeigen.

Apps und Funktionen

Nokia hat seinen Smartphones der Lumia-Serie eine Vielzahl eigener Apps mit auf den Weg gegeben. Kostenlose Landkarten und Navigation sind vorinstalliert, ebenso wie eine City-Kompass genannte App, die standortbasierte Informationen über Restaurants, Geschäfte oder Sehenswürdigkeiten anzeigt. Diese Dienste funktionieren zuverlässig, die Navigations-App funktioniert tadellos und kann sich mit "richtigen" Navigationsgeräten messen — drahtlosen Netzzugang oder vorheriges Herunterladen der Kartendaten vorausgesetzt. Gut gelungen ist auch die Nokia Musik-App. Neben einem brauchbaren Musikabspielprogramm ist sie auch Konzertfinder für Veranstaltungen in der Umgebung, Plattenladen und bietet eine Mix-Radio genannte kostenlose Streamingoption für nach Genre sortierten Songs.

Im Vergleich zu Android und IOS bietet der Windows Phone Appstore zwar keine vergleichbare Anzahl an Programmen, die wichtigsten Apps (etwa Facebook, Whatsapp, Foursquare, Skype) sind aber vorhanden. Sie unterscheiden sich teilweise deutlich im Design und der Bedienung. Bislang sind aber noch viele Programme im Angebot, die für Windows Phone 7 geschrieben wurden. Preislich liegen die Apps in etwa auf dem Niveau der Mitbewerber — es gibt allerdings bei fast allen Apps eine kostenlose Testfunktion bevor man zum Kauf aufgefordert wird. Der Appstore selber ist übersichtlich und gut sortiert. Es gibt Programmsammlungen, Charts, Empfehlungen und zahlreiche hilfreiche Programmrezensionen der Benutzer.

Die Kamera

„Ihre Freunde sahen nie besser aus“, verspricht Nokia in der Werbung. Dank optischer Bildstabilisierung und besonders lichtempfindlicher Kamera sollen unerreicht gute Bilder im Speicher des 920 landen. Für Schnappschüsse und sonstige Alltagsfotos stimmt das auch weitgehend. Die 8,7 Megapixel auflösende Kamera liefert gute Bilder mit brillianten Farben — auch bei wenig Licht. Ein Ersatz für eine richtige Kamera ist das Lumia 920 aber nicht. Die mitgelieferte Kamerasoftware verfügt kaum über Möglichkeiten für manuelle Einstellungen und reagiert etwas verzögert. Mitunter sind die Fotos etwas blaustichig und verfügen über wenig Tiefenschärfe. Wer der Kamera weitere Funktionen spendieren will, findet im Appstore Erweiterungsprogramme. Videos werden in 720 und 1080p aufgenommen, was tadellos funktioniert.

Datenschutz

Nutzer von IOS und Android sind gewohnt, dass für zahlreiche Apps eingestellt werden kann, ob Standortdaten erhoben werden dürfen oder nicht. Bei Windows Phone 8 hat man diese Möglichkeit nur eingeschränkt. Schon bei der Installation von Apps wird gefragt, ob diese den Standort benutzen dürfen. Verneint man dies, wird das Programm erst gar nicht installiert. Nachträglich den Zugriff auf Standortdaten für einzelne Programme beschränken, funktioniert nicht bei allen Programmen. Der Hinweis, dass die erhobenen Daten nur benutzt werden, um die Dienste zu verbessern und keinesfalls dafür, um den Benutzer zu identifizieren, ist keine echte Beruhigung.

Negativ aufgefallen ist auch die Verwaltung des Adressbuches. Ohne zu fragen kombiniert es die Kontaktdaten verschiedener Anwendungen. So werden Skype-Kontaktdaten mit bestehenden Kontakten verknüpft, nach der Installation der Facebook-App tauchen plötzlich Daten aus Facebook im Kontaktverzeichnis auf. Hinzu kommt, dass nach dem Import der Kontakte vom normalen Telefon auf das Testgerät (sehr komfortabel per Bluetooth) diese ungefragt online im Microsoft-Account gespeichert werden. Erst nachträglich kann die Synchronisation auf manuell gestellt werden. Dann sind die Daten aber schon im Netz.

Verarbeitung und Design

Das Lumia 920 ist solide und macht einen guten Eindruck. Nichts knirscht und quietscht, die vier seitlichen Funktionstasten haben einen angenehmen Druckpunkt. Ob sich Nokia mit dem Design allerdings einen großen Gefallen getan hat, bleibt abzuwarten. Nutzer mit normalgroßen Händen haben schon Schwierigkeiten, jeden Punkt des Telefons zu erreichen, dazu liegen die Kanten etwas unangenehm in der Hand. Die Abdeckung der Kameralinse schließt bündig mit dem Gehäuserücken ab, was sie recht anfällig für Kratzer macht. Hinderlich bei der Benutzung kann auch der Zurück-Button unten links sein. Im Alltagsbetrieb trifft man ihn ab und an ungewollt — etwa beim Schreiben von E-Mails oder bei der Benutzung der Kamera im Landscape-Modus.

Fazit

Alles in allem hat Nokia mit dem Lumia 920 ein konkurrenzfähiges Produkt abgeliefert. Bis auf kleine Details beim Design und den etwas schwachen Akku überzeugt das Smartphone mit einer Vielzahl durchdachter Funktionen, dem Bildschirm und einer guten Kamera. Hinzu kommen interessante Technologien wie NFC oder drahtloses Laden. Die von Nokia beigelegten Navigations- und Kartendienste sowie der gelungene Musikspieler sind Alleinstellungsmerkmale. Durch das einfach zu bedienende und aufgeräumte Betriebssystem ist das Telefon auch für Einsteiger geeignet.

Ob Nokia mit der Lumia-Reihe und dem 920 auch die Rückkehr in die Riege der großen Smartphone-Produzenten gelingt, bleibt abzuwarten. Damit die Chancen dafür ein wenig besser stehen, müsste noch die Masse der Programme im Windows Phone-Appstore auf den neuesten Stand gebracht werden. Derzeit sind noch viele Apps für das Vorgängersystem Windows Phone 7 im Angebot, die noch nicht alle Möglichkeiten der neuen Plattform ausreizen. Außerdem wären Verbesserungen im Datenschutz wünschenswert. Mit dem Lumia 920 hat Nokia seine Hausaufgaben gemacht. Nun muss Microsoft liefern.

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