Kathedralen aus gebranntem Lehm: Backsteingotik an der Ostsee

Lübeck/Stralsund (dpa/tmn) — Weil den Architekten an der Ostsee im Mittelalter Natursteine fehlten, errichteten sie Kirchen aus gebranntem Lehm. Die Bauten sind heute Anziehungspunkt für Touristen.

Die rote Farbe ist charakteristisch für die ganze Region.

Mittelalterliche Baumeister machten aus der Not eine Tugend: Weil ihnen vor acht Jahrhunderten im Norden der notwendige Naturstein für mächtige Kathedralen und prächtige Profanbauten fehlte, ließen sie aus dem reichlich vorhandenen Lehm der Landschaft Ziegel formen und brennen. Hunderte Denkmäler im typischen Rot prägen heute die Ostseeküste von Schleswig bis Wolgast.

Die architektonische Leistung begreift man am besten im Inneren der Kirchen. St. Marien in Lübeck ist ein gutes Beispiel. Besucher nehmen einfach auf einer der Bänke Platz und schauen nach oben. In schwindelerregender Höhe von fast 40 Metern mauerten die Baumeister einst das Deckengewölbe des Mittelschiffs. Es ist das höchste der Welt in Backsteinbauweise.

„Der Bau wurde um 1260 fertiggestellt und gilt als Mutterkirche der Backsteingotik. Ihr aus Frankreich importierter Basilika-Stil in Backstein war wegweisend für Hunderte Kirchen“, erklärt Christoph Pienkoß, Vorstandsvorsitzender des Vereins Europäische Route der Backsteingotik mit Sitz in Berlin.

In Lübeck hatte die Lehmziegelbauweise ihren Ursprung. Sie prägt bis heute das Stadtbild - für die Unesco war das 1987 ein Grund, die Stadt zum Weltkulturerbe zu erklären. Seit 2002 tragen auch Wismar und Stralsund diese Auszeichnung, weitere Baudenkmäler sollen folgen.

Eine gute Autostunde östlich von Lübeck liegt das nach dem Vorbild von St. Marien zwischen 1294 und 1368 von Zisterziensern errichtete hochgotische Münster von Bad Doberan. Man zahlt — wie in St. Marien — eine Erhaltungsgebühr von zwei Euro und darf das evangelische Gotteshaus besuchen, das nicht so hoch ist und deshalb im Inneren heimeliger wirkt.

„Das Münster ist vollständig erhalten, inklusive der reichen mittelalterlichen Innenausstattung — das ist schon fast einmalig“, sagt Pienkoß. Wertvoller Kirchenschmuck war im 16. Jahrhundert nämlich von Anhängern der Reformation aus zahlreichen norddeutschen Gotteshäusern entfernt und teilweise zerstört worden. Hier aber blieb ein um 1300 entstandener Hochaltar erhalten, der als ältester Flügelaltar der Kunstgeschichte gilt.

Markante Kirchtürme prägen weithin sichtbar die norddeutsche Ebene, Zeichen der christlichen Kolonisation der Slawengebiete. Doch nicht nur die Bischöfe, auch Ratsherren und Kaufleute beauftragten Baumeister mit Backsteinbauten.

„Hier sehen Sie diese Architektur in Vollendung“, erklärt Reiseleiter Alex Schumann einer Touristengruppe vor der filigranen gotischen Giebelfassade des Rathauses von Stralsund. Wenn man sich umdreht, fällt der Blick auf das nicht minder repräsentative Wohnhaus eines der frühen Bürgermeister.

Verständlich, dass sich die reichen Kaufmannsstädte schützen wollten und mächtige Wallanlagen bauen ließen. Das wuchtige Holstentor mit seinen zwei stämmigen Rundtürmen und dreieinhalb Meter dicken Außenmauern ist ein bis heute erhaltenes Zeugnis von diesen Bestrebungen.

Die Befestigungsanlagen um das Holstentor sind wie in den meisten Städten mit mittelalterlichem Stadtkern längst niedergerissen. Wer aber rund die rund 270 Kilometer entfernte Stadt Neubrandenburg an der Mecklenburgischen Seenplatte besucht, trifft auf eine weitgehend intakte Stadtmauer aus Backstein mit vier Stadttoren. „Diese Toranlagen werden Sie nirgends in dieser kunstvollen Form wiederfinden“, erklärt Pienkoß.

Auch Tangermünde ist einen Abstecher wert. Die Stadtmauern und Tore aus Backstein aus dem 15. Jahrhundert sind sehr gut erhalten. Das historische Rathaus mit seiner spätgotischen Schauwand gilt als Paradestück deutscher Backsteingotik.

Wer eine Rundreise zu den Backsteindenkmälern plant, muss auch nach Gdansk (Danzig) reisen, die im Mittelalter als reichste Stadt der Welt galt. Dort steht mit der Marienkirche die größte aus gebrannten Ziegeln gebaute Kirche Europas. Und ein weiteres Muss ist die nur 60 Kilometer entfernte Marienburg, der größte mittelalterliche Backsteinbau überhaupt.

Service:

Hilfreich sind die aktuellen Informationen der Europäischen Route der Backsteingotik, eines seit 2007 bestehenden Marketingvereins. Es können kostenlos Faltblätter mit Informationen zu einzelnen Bauwerken und zu Fahrradtouren der Mitgliedsstädte abgerufen werden. Die Tourismuszentralen der Städte sind mit eigenen Seiten im Internet vertreten, die zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten führen.

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