Zeitreise durch den Tourismus

Von der ersten Pauschalreise über den Boom der Balearen-Inseln bis zum elektronischen Online-Zeitalter.

Düsseldorf. Die Anfänge des Tourismus: Schon 1841 hatte der englische Prediger Thomas Cook für rund 500 Leute eine Bahnreise von Leicester ins zehn Meilen entfernte Loughborough organisiert — die erste Pauschalreise des modernen Tourismus. In Deutschland veranstaltete Dr. Hubert Tigges 1928 eine erste Wanderreise in die Eifel.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Deutschen zunächst zum Verreisen weder Geld noch Zeit. Aber die Prognosen, Reisen sei für die Deutschen auf Jahre hinaus unerschwinglicher Luxus, bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil. Mit dem Wiederaufbau erwachte auch bald die Reiselust.

Am 1. Januar 1948 gründet sich die Hapag-Lloyd-Reisebüro-Organisation und veranstaltet erste Reisen in den Harz, ins oberbayerische Geigenbauerdorf Mittenwald oder von Hamburg nach Westerland auf der Nordsee-Insel Sylt. Bereits im Jahr zuvor hatte Dr. Degener mit dem Fremdenverkehr in Ruhpolding begonnen.

Der Zug war das wichtigste Reiseverkehrsmittel. Nach und nach wurden die bombengeschädigten Holzklassewagen zu gepolsterten Sonderzügen umgebaut. 1948 rollt ein Sonderzug mit 1200 Gästen an Bord nach Ruhpolding. 23 Stunden sind die Urlauber im sogenannten „Kniescheiben-Express“ unterwegs von Hamburg bis in die bayerischen Alpen, wo sie von Trachtenkapellen und Jodlern empfangen werden.

Im selben Jahr gründen Dr. Degener, das Deutsche Reisebüro, das Amtliche Bayerische Reisebüro und das Hapag-Lloyd Reisebüro die Arbeitsgemeinschaft DER-Gesellschaftsreisen. Zwei Jahre später verreisen 117 000 Menschen mit 500 Sonderzügen der DER-Gesellschaftsreisen. Trendziele: Oberbayern, Schwarzwald, Österreich.

Die Sehnsucht der Deutschen richtet sich auf „bella Italia“. Immer häufiger starten Reisegruppen Richtung Gardasee und Adria, wo Rimini die beliebteste Urlaubsadresse ist.

Busunternehmen entdecken die spanische Costa Brava für den deutschen Touristen. Aus DER-Gesellschaftsreisen wird 1951 die Touropa. Im ersten Jahr transportiert das neue Unternehmen bereits 13 500 Gäste. Die wollen auch unterwegs die Reise genießen. Mit den Ansprüchen steigt der Komfort: Die Sonderzüge führen Speise- und Friseurwagen.

Touropa baut ihr Angebot mit rasantem Tempo aus: 1954 geht es mit kombinierten Bahn-, Bus- und Schiffsreisen nach Mallorca. Im Jahr darauf nimmt das Kreuzfahrtschiff „Pace“ Kurs auf Spanien, Nordafrika und Korsika.

1955 beginnt Lufthansa ihren Flugbetrieb. Drei Jahre später legt Dr. Tigges ein erstes Fernreise-Programm auf. In dieser Zeit zählt die Statistik bereits 11,5 Millionen Bundesbürger, die eine Urlaubsreise unternehmen, 27 Prozent davon reisen ins Ausland. Der Deutsche Flugdienst befördert bereits 47 200 Passagiere.

Zahlreiche Reiseunternehmen werden in dieser Zeit gegründet, darunter Hummel Reise, Scharnow Reisen, Hetzel Reisen, DER, Gastager, Marco Polo Reisen, Studiosus und Transeuropa.

Ab 1960 setzt die Lufthansa Düsenmaschinen ein. Der Jet halbiert die Reisedauer und befördert doppelt so viele Passagiere wie bisher. Bald darauf erscheint Neckermann mit einem eigenen Flugreiseprogramm auf dem Markt. Aus der DFG wird Condor Flugdienst. Dr. Tigges begrüßt erste Gäste beim Langzeit-Urlaub auf Mallorca.

Fritz Gastager startet aus Inzell mit 104 Passagieren seine erste Rund-um-die-Welt-Reise. Die Statistik zählt Mitte der 1960er Jahre 19,1 Millionen Urlaubsreisende, so viele wie nie zuvor. Und fast die Hälfte davon zieht es im Urlaub ins Ausland.

Das Kontrastprogramm kreiert Touropa: zunächst mit Ferien auf dem Bauernhof, später mit den ersten FKK-Reisen. In Berlin gibt im Jahr 1966 zum ersten Mal die damals noch bescheidene Internationale Börse des Tourismus (ITB) einen Überblick über die große weite Welt des Reisens. Weitere große Reiseanbieter drängen auf den Markt: darunter Tui, Airtours International, Öger Tours und ITS.

Mit dem Einsatz eines Boeing 747-Jumbos beginnt endgültig das Zeitalter des Massentourismus. Der 1. April 1973 ist ein entscheidendes Datum für den Flugtourismus. Das Bundesverkehrsministerium beginnt mit einer ersten Liberalisierung des Luftverkehrs und genehmigt sogenannte „Advanced Booking Charter“. Die preiswerten Charterflüge über den großen Teich werden auf Anhieb ein Erfolg: Bereits im ersten Jahr reisen rund 8000 Passagiere nach New York, Los Angeles, Chicago, Kanada. 1974 sind es bereits 30 000, zwei Jahre später doppelt so viele.

British Airways und Air France schreiben mit dem Einsatz des Überschallflugzeugs Concorde ein neues Kapitel.

Trotz verstärkter Flugreiselust wächst auch das Interesse an der guten, alten Kreuzfahrt durch etliche neue Schiffe. 1979 schickt beispielsweise die Reederei Deilmann die MS Berlin auf Jungfernfahrt.

Der Tourismus erreicht eine neue Dimension, die Reise-Intensität steigt sprunghaft. Im Jahr 1980 unternehmen 27,1 Millionen Bundesbürger eine Urlaubsreise, das sind 27,7 Prozent der Bevölkerung. 16,9 Millionen verbringen die schönsten Wochen des Jahres im Ausland — auf den griechischen Inseln, auf den Balearen und Kanaren, an der Costa del Sol oder an der Algarveküste im Süden Portugals genauso wie mit dem Rucksack auf dem Inka-Trail in Peru.

Die Dominikanische Republik entwickelt sich langsam zum Mallorca der Karibik.

Je dichter sich die Urlauber an den Stränden der Ferienhochburgen drängen, desto stärker meldet sich bei vielen das schlechte Gewissen: Öko ist plötzlich auch in der Reisebranche angesagt. Das schafft Raum für neue Spezialanbieter, die mit nachhaltigem Tourismus nicht nur die Umwelt schonen, sondern auch die Situation der „Bereisten“ hinterfragen und stärker ins Bewusstsein rufen wollen. Sie wollen nicht nur die Touristen, sondern auch die Gastgeberländer zufrieden stellen.

In Baden-Baden wir das Unternehmen L’Tur gegründet, das sich auf den Verkauf von Restplätzen spezialisiert: Lastminute-Urlaub ist geboren.

1989 führen mehr als zwei Drittel der insgesamt 32,6 Millionen statistisch erfassten Urlaubsreisen über die Landesgrenze hinaus. Trendziele: Griechenland und die „DomRep“.

Der Fall der Berliner Mauer sorgt für neue Reiseströme von Ost nach West. 9,8 Millionen ehemalige DDR-Bürger nutzen die neugewonnene Reisefreiheit.

Städtereisen liegen im Trend und die Alpenländer erfreuen sich kurzzeitig ungeahnter Popularität. Osteuropa profitiert vom visumfreien Reisen, mit dem Zerfall Jugoslawiens und der Auflösung des „Ostblocks“ wird die Reisewelt um reizvolle Ziele im Osten bereichert. Kroatien wird zum Geheimtipp für preiswerten Bade-Urlaub an der Adria.

Lastminute-Urlaub gilt im Mittelmeerraum als wahrer Volkssport, die Reiseunternehmen unterbieten sich gegenseitig mit Schnäppchen.

Pauschaltourismus wird flexibel. Vorbei ist die Zeit der starren „Wochenreisen“. Der moderne Pauschaltourist kann fast jeden Tag fliegen. Statt starrem Sieben-Tage-Rhythmus ist fast alles möglich, kann Bade-Urlaub variabel mit einer Kulturreise und einem Golftrip verbunden werden.

Billigflieger und Internet revolutionieren eine Reisewelt, die transparent ist wie nie zuvor. In Bewertungsportalen kann jeder jeden testen: Urlauber bewerten Reiseveranstalter und Hotels. Statt sich auf die Empfehlungen eines Reiseverkäufers verlassen zu müssen, kann der Urlauber via Google Maps dem Swimmingpool seines Ferienhotel im wahrsten Wortsinn auf den Grund gehen.

Dynamic-Packaging ist das Schlagwort der Stunde: Die Pauschalreise muss sich plötzlich dagegen erwehren, dass jedermann individuelle Reisepakete aus (Billig-)Flug, Hotel, Transfers und sonstigen Elementen zusammenstellen kann. Billig ist Trend zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Bordkarten sind Schnee von gestern, der Flugurlauber ist eine Nummer am Ticketschalter. Die Reiseveranstalter kreieren immer längerfristigere Frühbucherrabatte als Konsequenz der Erosion der Pauschalreise.

In Europa sorgt die Einführung des Euro 2002 für Erleichterungen. All-inclusive hat sich in allen beliebten Urlaubsregionen durchgesetzt.

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