Die Dolomiten in Südtirol zählen zu den spektakulärsten Landschaften Europas. Ein Geotrail erzählt ihre Geschichte. Wandern über das Urzeit-Riff

Berge oder Meer? Die Frage stellt sich vielen vor den großen Ferien. Dass man an einem Ort beides haben kann, wenn man nur lange genug wartet, bringt jetzt ein spektakulärer neuer Weitwanderweg durch das Herz der Südtiroler Dolomiten ans Licht.

 Abendlicht hüllt das Bergpanorama in weiches Licht.

Abendlicht hüllt das Bergpanorama in weiches Licht.

Foto: Martin Wein/Martin Wein, Bonn

Nachdem die Unesco die Dolomiten zum Weltnaturerbe ernannt hat, wurde er 2018 ausgewiesen. Für einen Strandspaziergang am Tethys-Meer kommen Wanderer zwar ein paar Millionen Jahre zu spät. „Aber ohne das Werk von Milliarden kalkbildenden Organismen tropischer Meere wäre das hier alles nicht entstanden“, erklärt Barbara Erschbaumer. Die Hobby-Geologin begleitet Interessierte auf dem ersten Stück des Geotrails durch die Bletterbachschlucht.

Der „Grand Canyon Südtirols“ bei Aldein ist eine geologische Sensation gleich zu Anfang. Vor 15 000 Jahren hat sich der Gletscherbach, so die Übersetzung, in Gesteinsschichten aus bewegten Zeiten gegraben. Am Grund der unwegsamen Schlucht zeigt Erschbaumer violettes Vulkangestein. Am Ende des Erdaltertums quoll es aus zahllosen Magmakammern. Sogar ein ganzer Magmaschlot hat alle Wendungen der Erdgeschichte überstanden.

Wo die Saurier
ihre Fußabdrücke hinterließen

Auf die Vulkanitschicht türmt sich roter Sandstein, der einst eine weite Ebene bedeckte. Die ersten Saurier haben dort Fußstapfen hinterlassen. Denn je weiter man dem Bletterbach bergan zum Weißhorn folgt, desto deutlicher wird: Hier beginnt eine neue Zeit. Klar wie selten liegt die Grenze zweier Erdzeitalter zutage. „Ein gewaltiger Asteroideneinschlag in Sibirien vernichtete damals 80 Prozent allen Lebens“, sagt Erschbaumer andächtig und beißt in eine mitgebrachte Banane. Erst danach übernahmen die Reptilien im Erdmittelalter die Herrschaft über die Erde.

An Stelle der Dolomiten schwappte damals das warme Tethys-Flachmeer. Riffe entstanden und haben den weißen Kalk des Weißhorns hinterlassen, den man nach zehn schweißtreibenden Kilometern und 1100 Höhenmetern schlussendlich erreicht. Der Abstieg ins Tal zum spiegelglatten Karersee ist dann (fast) nur noch ein Kinderspiel.

Zwei Tage später wartet die nächste Sensation auf umsichtige Wanderer. Zunächst verkürzen Seilbahn und Sessellift von Welschnofen zur Kölner Hütte auf 2337 Metern recht kommod den langen Aufstieg zum Rosengarten. Der weltberühmte Bergstock, der im Abendlicht rosa aufleuchtet, ist in Wahrheit ein riesiges Riff. Doch nicht immer lag es im Wasser. Eine Geröllschicht mit runden Kieseln in der Nähe der Hütte beweist, dass sich hier vor ziemlich genau 246 Millionen Jahren ein Flussbett durch eine Insel geschlängelt hat. Später sank der Boden wieder unter die Wasseroberfläche.

Es geht auf einem
steilen Pfad hinauf

Auf Eisensprossen und Trittstiegen und dann auf einem steilen Pfad geht es ein paar hundert Meter zum Tschagerjoch hinauf. Verschnaufpause? Unbedingt! Der Blick in die Rosengarten-Arena mit den markanten Vaiolet-Türmen ist fantastisch.

Dann hinunter. Von der Hütte im Talkessel öffnet sich schließlich das Panorama auf das ganze prähistorische Riff mit der inneren Lagune, dem Riffkranz und dem Abhang zum offenen Meer. Nur haben tektonische Kräfte die Behamas der Trias-Zeit inzwischen über 2500 Meter in die Höhe gehoben.

So einen Lift würde mancher sich wünschen. Schließlich hat der Geotrail vor die nächste gebuchte Schutzhütte zunächst noch den Grasleitenpass und einen langen Abstieg durch loses Geröll gestellt. Es ist fast unglaublich, wie viel Polenta und Schokopudding ein ausgehungerter Magen am Abend in der urigen Grasleitenhütte verträgt. Die liegt ohne Straßenzugang auf einer schmalen grünen Alm unterhalb einer senkrechten Felswand. Wer mag, den lässt Hüttenwirt Hansi morgens frische Ziegenmilch probieren.

Kaiserschmarrn bei
Gewitter und Regen

Der Folgetag bringt nur eine kurze Etappe bis zur privat betriebenen Tierser Alpl unterhalb der markanten Rosszahnscharte. Eine kluge Wahl, denn schon um die Mittagszeit türmen sich schwere Gewitterwolken auf. Blitze und Regenfluten nagen an den Riff-Bergen des Rosengartens. Kaiserschmarrn aus der Hüttenküche vertreibt die Wartezeit. Am nächsten Morgen ist der lange Weg zur Seiser Alm und nach Seis aber immer wieder von abgebrochenen Ästen versperrt.

Letzter Kulissenwechsel: Etappe 9 einige Dutzend Kilometer weiter östlich führt hinauf in das eindeutig spektakulärste Gebiet der Dolomiten. „Ich komm da nicht mit“, sagt die Frühstückskellnerin im bequemen Hotel Brückele in Außerprags mitleidig, als sie den eiligen Wanderern vor Tau und Tag einen Cappuccino aufbrüht. Mit Proviant versorgt geht es zunächst auf die üppig grüne Plätzwiese hinauf, die vor einem Jahrhundert im Ersten Weltkrieg heftig umkämpft wurde.

Dann schlängelt sich der Pfad hinauf auf den Strudelkopf. Von oben öffnet sich die erste Aussicht auf das Tagesziel: Die legendären Drei Zinnen. Wie Saurierzähne ragen sie aus einem Plateau heraus, die höchste exakt 2999 Meter über den Meeresspiegel.

Postkartenmotive und
Mini-Zinnen aus Marzipan

Doch die vermeintliche Nähe trügt. Scheinbar endlos schlängelt sich der gut ausgebaute Weg über Serpentinen zunächst ins bewaldete Tal. Einige ausgesetzte Stellen sind nur Schwindelfreien zu empfehlen. Auf der anderen Seite geht es wieder hinauf – oder man nimmt den Bus zur Auronzohütte, die Mini-Zinnen aus Marzipan zum Kaffee verkauft. Von dort führt ein schöner Weg südlich um die Zinnen herum, die sich im Abendlicht allmählich rosa einfärben. Das Postkartenmotiv entschädigt die völlig durchgelegenen Stockbetten der Dreizinnenhütte und die fehlenden Duschen.

Am Abreisetag ginge es dann in drei Stunden bequem zum Endpunkt in Sexten. Aber man wählt natürlich stattdessen die letzte, aussichtsreiche Geotrail-Etappe über das Büllerjoch und das Oberbachernjoch vorbei an gelbem Mohn und tiefen Abgründen den langen steilen Abhang des letzten urzeitlichen Riffs hinab. Ist doch Ehrensache.

Spätestens danach wünscht sich jeder ein erfrischendes Bad im Meer – oder zumindest eine Dusche.

Der Autor reiste mit Unterstützung von Südtirol Tourismus.

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