Tallinn 2011: Kulturhauptstadt entdeckt die Ostsee

Tallinn (dpa/tmn) - Tallinn ist 2011 Europäische Kulturhauptstadt und hat sich für diese zwölf Monate viel vorgenommen. Das gilt nicht nur für das neue Meeresmuseum. Die Nähe zur Ostsee spielt auch bei vielen anderen Projekten eine Rolle, manchmal auch über 2011 hinaus.

Die Wellen klatschen kaum hörbar an das U-Boot im Hafenbecken. Baulärm übertönt fast jedes Geräusch. Es sieht noch nach viel Arbeit aus, bis das neue Meeresmuseum von Tallinn fertig ist. Doch Urmas Dresen blickt zufrieden um sich. Die Pflastersteine rund um das Becken sind schon verlegt und lassen erahnen, wo die Schienen des alten Hafenkrans verlaufen werden, den der Museumsdirektor hier aufstellen lassen will. Spätestens zur Eröffnung Mitte Juli 2011 soll das Gelände wie eine typische Hafenanlage aussehen, sagt er.

Tallinn war als Grenzgebiet während des Kalten Krieges und auch danach noch weitgehend vom Meer abgeschnitten. Die Häfen waren bis 1991 militärisches Sperrgebiet. Im Jahr 2011 dagegen, wenn Tallinn - gemeinsam mit dem finnischen Turku - Kulturhauptstadt ist, lautet das Motto der Veranstaltungen ausdrücklich „Geschichten am Meer“. Das neu gestaltete Museum ist ein Herzstück des Programms.

Dort werden unter anderem der 1914 gebaute Dampfeisbrecher „Suur Tõll“ und das einzige U-Boot zu sehen sein, das der estnische Staat je besessen hat. Letzteres soll das Prunkstück in dem rekonstruierten Hangar werden, an dem noch so emsig umgebaut wird. Der Betonkomplex stammt aus der Zarenzeit und war als Parkplatz für Wasserflugzeuge gedacht. „Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schien diesen Flugzeugen eine große Zukunft bevorzustehen“, erzählt Museumsdirektor Dresen. Ein dänisches Ingenieurteam habe den Hangar so entworfen, dass die Flugzeuge innen wenden konnten, ohne irgendwo anzustoßen. Doch schon 1917 durchkreuzte die Russische Revolution die Pläne, so dass der Hangar nie ganz fertig wurde.

Das Museum ist Ausgangspunkt einer geplanten Seepromenade, dem „Kulturkilometer“. Dieser soll vorbei an einem alten, leerstehenden Gefängnis zur Linnahall führen, einem aus Sowjetzeiten stammenden Konzertgebäude, nur einen Steinwurf entfernt von der Altstadt. „Damit wollen wir die Gegend dort beleben“, sagt Maris Hellrand von der Stiftung Tallinn 2011 - mit Cafés in Seefrachtcontainern zum Beispiel.

Der neue Küstenstreifen wird wie vieles, was für das Kulturhauptstadtjahr an Bauten geplant ist, aber wohl allenfalls halbfertig sein, wenn das Programm beginnt. Für die Stiftungsvertreterin ist das kein Widerspruch: Vieles werde derzeit rekonstruiert, aber eben nicht nur für 2011, sondern darüber hinaus. „Das sind Projekte, die schon lange im Gespräch waren, und das Kulturhauptstadtjahr hat dafür den letzten Anstoß gegeben.“

Tallinn hat eines der niedrigsten Budgets, das je einer Europäischen Kulturhauptstadt zur Verfügung stand. Viel neue Infrastruktur sei daher nicht drin, räumt Maris Hellrand ein. Das ist wohl auch mit ein Grund dafür, warum die Stiftung aus den 900 von Tallinner Bürgern eingereichten Vorschlägen vor allem kostengünstige Projekte für das Programm ausgewählt hat. 34 der ausgewählten 251 Vorschläge haben direkt mit dem Meer zu tun, viele andere beziehen sich im weitesten Sinn darauf.

Einer davon ist das auf längere Zeit angelegte Projekt „Arche Noah von Tallinn“ von Anatolij Ljutjuk, einem aus der Ukraine stammenden Künstler. Je 100 Holztiere aus fünf Kontinenten sollen eines Tages den Dachstuhl des Grusbeketurms in der mittelalterlichen Mauer füllen, die noch heute weite Teile der Altstadt umschließt.

Der historische Stadtkern mit seiner Ober- und Unterstadt ist bereits seit längerem herausgeputzt. Dazu hat die friedliche Wende 1991, als Estland von der Sowjetunion unabhängig wurde, nur bedingt beigetragen. Viele Fassaden seien 1980 restauriert worden, als im Rahmen der Olympischen Spiele in Moskau die Segelwettbewerbe vor der estnischen Küste stattfanden, erzählt die Stadtführerin Õie Kirs.

Gegründet wurde die Stadt Reval, das heutige Tallinn, im Hochmittelalter von deutschen Ordens- und Kaufleuten. Am Burgturm, dem „Langen Hermann“, wehte über die Jahrhunderte immer die Fahne des jeweils aktuellen Herrschers. Gegenüber liegt die Alexander-Newski-Kathedrale mit ihren typischen Zwiebeltürmen. In der Unterstadt finden sich zahlreiche Kontorhäuser aus der Hansezeit. Das Schwarzhäupterhaus etwa, heute für Staatsempfänge genutzt, hat eine auffällige Renaissance-Fassade. Das Haus der Großen Gilde schräg gegenüber beherbergt das Estnische Historische Museum.

Ganz fertig ist auch die Altstadt noch nicht - aber das kann auch ein gutes Omen sein. Schließlich gibt es die Legende, dass Tallinn nie fertiggebaut sein darf - sonst passiere ein Unglück: Ein Gnom aus dem vor den Toren der Stadt gelegenen Ülemiste-See will dann den See über die Ufer treten lassen. Von Touristen überschwemmt wird die Stadt zumindest in den Sommermonaten allerdings jetzt schon.

Service:

Brüggemann, Karsten/Tuchtenhagen, Ralph: Tallinn. Kleine Geschichte der Stadt, Böhlau, 250 S., 19,90 Euro, ISBN-13: 978-3-412-20601-7.

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