Peru Schilfboote und Kokablätter

Boote und Inseln aus Schilf – am Titicacasee gibt es beides bis heute. Auch Thor Heyerdahl war dort Kunde.

 Demetrio Limachi hat die Ra II für sich noch einmal in Kopie gebaut. 

Demetrio Limachi hat die Ra II für sich noch einmal in Kopie gebaut. 

Foto: Martin Wein, Bonn

Sein Boot steht längst auf dem Trockenen. Doch Demetrio Limachi posiert darauf wie der Entdecker neuer Welten. Tatsächlich verhalf der Fischer aus dem indigenen Volk der Aymara vor fast einem halben Jahrhundert dem Abenteurer Thor Heyerdahl zu dessen größtem Erfolg. Der Norweger Heyerdahl wollte im Selbstversuch nachweisen, dass auch frühe Kulturen über die großen Ozeane hinweg Kontakt gehabt haben könnten, ja dass eine Besiedlung auch über weite Entfernung auf dem Seeweg möglich war. Mit seinem Balsa-Floß Kon-Tiki war Heyerdahl 1947 von Südamerika nach Polynesien gesegelt. Später versuchte er dann mit seinem Papyrus-Boot Ra die Atlantik-Überquerung. Das Experiment endete kläglich. Mitten auf dem Ozean begann das von afrikanischen Bootsbauern geflochtene Boot, sich in seine Bestandteile aufzulösen.

Erst Limachi, den Heyerdahl mit einem Wettbewerb am Titicacasee entdeckte, konnte dem Norweger wirklich helfen. Zusammen mit seinen Brüdern Josè, Juan und Paolino baute Limachi aus Schilfdie Ra II für ihre 56 Tage lange Seereise von Marokko über den Atlantik. Die Ankunft der Crew am 12. Juli 1970 auf Barbados war ein Weltereignis. So ähnlich – so die These – hätten auch die Ägypter nach Südamerika gelangen können.

Schiffe aus
Naturmaterialien bauen

Eine leicht verkleinerte Kopie der Ra II ist heute die größte Attraktion des Hotels Inca Utama im bolivianischen Huatajata am Ostufer des Titicaca-Sees. Demetrio Limachi ist inzwischen 71 Jahre alt und von Grauem Star gepiesackt. Trotzdem erklärt er noch immer gern die vier Brüder mit dem Wissen von Großvater Nazario das Boot geflochten haben. Der Clou waren nur zwei Knoten, einer oben am Bug, einer am Heck. So konnten Wellen und Wind es nicht aufreiben. Später bauten sie für Heyerdahl auch weitere Schiffe aus Naturmaterialien. Demetrios Tochter Zoy ging mit dem Abenteurer sogar nach Norwegen.

Auch wenn Heyerdahls Thesen sich in der Fachwelt überwiegend nicht durchgesetzt haben, geht die Arbeit am Seeufer von Huatajata weiter. Aktuell arbeitet Limachis Neffe Fermin für den deutschen Experimental-Archäologen Dominik Görlitz und baut ein Boot für Wladimir Putin. Der wolle schließlich auch einmal positiv in die Zeitung kommen, scherzt der alte Mann und kichert.

Die traditionellen Bootsbauer sind aber nicht die einzige Überraschung, die Gäste im Hotel Inka Utama – das heißt Haus des Inkas – erwartet. Statt auf Luxus setzt das kleine Drei-Sterne-Haus mit 67 Zimmern und Suiten – alle mit Seeblick und Heizdecken für die kalten Wintermonate – auf ein kulturelles Gesamterlebnis. Kunsthandwerker, Lamas und Alpakas erwarten Besucher im benachbarten Dorf mit nachgebauten Rundhütten aus Lehm und Schilf.

Ein Schamane wirft
Opfergaben ins Feuer

Sobald die Sonne versinkt, zeigen Mitarbeiter in einem Vortragsraum einen Film über indigene Heiler. Von Fackeln beleuchtet führt ein Pfad anschließend in ein geheimnisvoll gestaltetes Museum. Dutzende Heilkräuter, Mineralien und Naturstoffe und deren Wirkung werden dort erklärt. Am Ende wartet im Schein einiger Kerzen in einer schummrigen Hütte ein traditioneller Schamane aus der Nachbarschaft. Beschwörungsformeln murmelnd wirft er Opfergaben ins Feuer und mehrfach Koka-Blätter auf den Boden vor sich. Daraus liest er den Reisenden die Zukunft. „Lottozahlen kennt er leider nicht“, erklärt die in Ratingen geborene Kultur-Anthropologin Sabine Stangl-de Luna, die seit 20 Jahren für Touren für den Studienreiseveranstalter Studiosus leitet. Und auf die traditionelle Diagnose von Erkrankungen mit Hilfe eines aufgeschnittenen Meerschweinchens verzichtet der Schamane aus Rücksicht auf die Besucher aus Europa.

Am nächsten Morgen geht die Reise dann mit einem kleinen Tragflügelboot weiter. Die Gäste brausen westwärts über das Anden-Meer, die 6000er der Cordillera Blanca stets im Rücken. Erstes Ziel ist die Isla del Sol, die mit strahlendem Sonnenschein ihrem Namen alle Ehre macht. Der Legende nach soll das Inka-Reich hier seinen Ursprung haben. Der erste Herrscher des Volkes und seine Frau wurden vom Sonnengott Inti mit der Suche nach einer passablen Hauptstadt beauftragt. Ein Grabstock aus Gold sollte ihnen den Weg weisen. Heute erwarten bunte Abbilder des Paares Besucher am Strand der Insel, die längst zum Ferien-Paradies für Wanderer und Einheimische geworden ist.

Die Urus leben noch
immer auf den Schilfinseln

Später fährt der Katamaran dann über die Grenze nach Peru zu eben den Leuten, die das Schilf der Uferzone einst als Baumaterial entdeckten. Schon vor zwei Jahrtausenden haben sich diese Urus vor Scharmützeln am Ufer auf künstliche Inseln mitten im See zurückgezogen. Einige Hundert von ihnen leben dort noch immer. Ein Hausbesuch auf schwankendem Grund ist eines der eindrucksvollsten Erlebnisse am See.

Die zahlreichen Boote werden gerecht auf die verschiedenen Inseln verteilt, die meist nur wenige Familien bewohnen. Gäste zahlen eine Art Eintrittsgeld und werden dafür nicht mehr finanziell bedrängt. Im Gegenteil: Freundlich empfängt der „Präsident der Insel“ die Leute vom Festland.

Jedes Jahr müssen
die Hütten neu gebaut werden

Die kleinen Hütten müssen jedes Jahr vor der Regenzeit erneuert werden. Ihr schwimmender Untersatz dagegen halte rund eine Generation, bis das Schilf von unten festwächst und zu faulen beginnt. Solarstrom und TV-Anschluss sind heute selbstverständlich. Auch eine Schule und eine Krankenstation gibt es. Nur die Belastung der fast abflusslosen Bucht von Puno mit ungeklärten Abwässern sei ein Riesenproblem.

Bevor die Gäste kurz nach Sonnenuntergang wieder in ihren modernen Katamaran aus Fiberglas steigen, dürfen sie sich einmal wie Entdecker fühlen. Mit einem eigens für Touristen geflochtenen Schilfboot drehen sie mit ihren Gastgebern eine kleine Runde um die Insel. So windschnittig wie die Ra II ist das Gefährt allerdings nicht. Als ein wenig Gegenwind aufkommt, helfen auch die Ruder nicht weiter. Da muss ein Nachbar mit einem kleinen Außenborder an seinem Ruderboot anschiebend nachhelfen.

Der Autor reiste mit Unterstützung von Studiosus.

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