Retro-Trend : Polen entdecken Liebe zu alter Neon-Werbung wieder
Warschau (dpa) - Ihre Rettung alter polnischer Neon-Werbung begann Ilona Karwinska mit dem Schild „Berlin“. Die Reklame eines ehemaligen Warschauer Geschäfts mit Kleidung aus dem Westen war die erste von inzwischen hunderten, die die Polin vor dem Müll bewahrte.
Das Schild, durch dessen Röhren rot leuchtendes Edelgas fließt, hängt nun zwischen weiteren Werbetafeln aus den 50er bis 70er Jahren in Europas einzigem Neon-Museum im Warschauer Szene-Bezirk Praga.
Anfangs lagerte Museumsgründerin Karwinska die oft metergroßen Schilder von Bahnhöfen, Restaurants und Co. aus kunstvoll geschwungenen Lettern und Tiermotiven noch auf ihrem Balkon, wie ihre Mitarbeiterin Izabela Michalska der Deutschen Presse-Agentur erzählt. Inzwischen bietet selbst die täglich von bis zu 400 Gästen besuchte Ausstellungsfläche nicht mehr genug Platz. An die 200 Neon-Schilder deponiert das Museums-Team in einem Magazin.
Etwa 50 leuchten bereits wiederhergestellt von den dunklen Wänden der alten Lagerhalle in der Soho-Factory, einem ehemaligen Warschauer Industriegelände, das nun als Werkstätte kreativer Hauptstädter fungiert. Favoritin der Museumsbesucher ist das Stadtwappen, die Meerjungfrau „Syrenka“. „Unser Instagram-Star“, sagt Michalska.
Die Neon-Schilder sehen nicht nur gut aus, sie erzählen auch ein Stück polnischer Geschichte: Die Leuchtwerbung kam nach dem Tod des Sowjet-Diktators Josef Stalin in Mode, wie Michalska sagt. Die darauffolgende kommunistische Regierung war weniger repressiv: Die Neonwerbung guckte sie sich aus dem Westen ab und wollte damit die dunklen Bauten im ehemaligen Ostblock verschönern. „Sie sollte besser sein als die kapitalistische Werbung im Westen“, sagt Michalska und fügt hinzu: „Es sollten Kunstwerke entstehen.“
Das ließen sich die Regierenden kosten und beauftragten polnische Künstler mit dem Design. Hunderte der Neon-Reklamen beleuchteten die Warschauer Hauptstraßen Aleje Jerozolimskie und Ulica Pulawska. Einige Originale wie das Schild eines Instrumentengeschäfts leuchten bis heute. Im Neonlicht erstrahlten auch Städte wie das südpolnische Kattowitz (Katowice), das „Kleines Las Vegas“ genannt wurde, wie Michalska erzählt. „Selbst viele Dörfer hatten eine Neonreklame.“