Kanada In den Badlands der Banditen

Gangster wie Butch Cassidy suchten einst im rauen Süden der kanadischen Provinz Saskatchewan Unterschlupf. In der Region von Big Muddy erzählt man noch heute von ihnen.

Kanada: In den Badlands der Banditen
Foto: Oliver Gerhard

Butch Cassidy war da. Dutch Henry versteckte hier gestohlene Pferde. Und Sam Kelly galt in den Big Muddy Badlands als Schrecken aller Rancher. Bankräuber und Schmuggler, Vieh- und Pferdediebe: Den „Promis“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts hat man keine Plakette ans Geburtshaus genagelt. Und doch bescheren sie der wilden, einsamen Region im Süden Saskatchewans heute einen kleinen touristischen Boom.

Kanada: In den Badlands der Banditen
Foto: Tourism Saskatchewan/ Douglas E. Walker

Die Schmelzwasser der letzten Eiszeit formten die grüne, hügelige Landschaft rund um den Big Muddy Creek, dessen breites Tal sich über 55 Kilometer bis nach Montana erstreckt. Schilder weisen zur US-Grenze, die nur noch einen Katzensprung entfernt liegt. Heute ein streng bewachtes Hindernis mit versteckten Kameras in Felsattrappen, war sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts nur eine imaginäre Linie, deren Überschreiten Schutz bot: vor dem Sheriff, vor der US-Armee, vor der kanadischen North West Mounted Police — dem Vorläufer der berühmten „Rotröcke“.

Eine achtstündige Tour führt von der Stadt Coronach durch diese Region mit ihrer Wildwestgeschichte. Guide Trish Manski sitzt am Steuer des Vans, eine resolute Frau mit scharfer Stimme, die Fakten wie mit dem Schnellfeuergewehr auswirft. „Die Rancher hatten es immer schwer in dem trockenen Land“, sagt sie. Doch wenigstens gibt es jetzt keine Diebe mehr, wie gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Damals hatten Gangster die Region fest im Griff, der nächste Polizeiposten lag zwei Tagesritte entfernt. Und die Badlands mit ihren zerklüfteten Schluchten und Bergkegeln boten ideale Verstecke.

Trish stoppt am Castle Butte, einem einzelnen Hügel aus Sandstein und Ton, der wichtigsten Landmarke der Region. Er diente zunächst Indianern, später Outlaws und Polizisten gleichermaßen als Ausguck. Beim Besteigen staubt die trockene Erde unter den Füßen, silbrige Salbeibüsche verbreiten ihren herben Duft.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lag die „Circle Y Ranch“ im Brennpunkt des Geschehens: 1902 richteten die „Rotröcke“ dort einen Posten ein, um die Kriminalität einzudämmen. Die Hausherrin Tamela Burgess forschte jahrelang über die Vergangenheit und schrieb ein Buch darüber. „Die Polizei hat die Gangster überhaupt nicht beeindruckt“, sagt sie.

Schildaufschrift an der Giles Ranch

Die eingeschüchterten Rancher warnten die Outlaws nicht nur, wenn das Gesetz in der Gegend war, sondern hielten sogar ausgeruhte Pferde für sie bereit. Zum Beispiel für den berüchtigten Butch Cassidy, dessen „Outlaw Trail“ von Big Muddy über Arizona bis nach Mexiko führte. Oder für Sam Kelly, der schießen konnte wie kein anderer.

Das System der Banditen war einfach: Sie stahlen Pferde in Montana, änderten die Brandzeichen und verkauften sie Ranchern in Kanada. Und umgekehrt. Wurden sie auf frischer Tat ertappt, überquerten sie die Grenze und tauchten in den Schluchten und Höhlen von Big Muddy unter — die Polizei durfte sie nicht über die Grenze verfolgen.

Einer der faszinierendsten Charaktere jener Zeit muss Henry Jauch alias „Dutch Henry“ gewesen sein, ein erfahrener Viehdieb. Schon bei seinem ersten Job als Cowboy wurde er gefeuert, weil er zu locker mit dem Brandeisen umging. „Er war ein sehr guter Reiter und Lassowerfer“, sagt Burgess. Weil Pferdediebstahl ein Saisongeschäft war, machte die Bande regelmäßig Winterurlaub in den USA. Mit Bank- und Zugüberfällen.

Das wichtigste Versteck der Gangster blieb erhalten: Guide Trish Manske steuert den Van zur nahe gelegenen Giles Ranch. „Unbefugte bekommen einen fairen Prozess und werden dann gehängt“, steht einladend auf einem Schild am Eingang. Am sumpfigen Fluss entlang geht es zu den halb verfallenen Höhlen — eine diente den Outlaws als Stall, eine andere zum Wohnen. Es ist so still, dass man vom nächsten Hügel die US-Flagge der Grenze flattern hört. Trish fährt weiter auf ein windumtostes Plateau, über das sich Linien aus Steinen erstrecken: das Bild eines Büffels. „Es stammt von den Indianern, die hier über Jahrtausende lebten“, sagt sie: Lakota, Assiniboine, Blackfoot, Cree.

Im Jahr 1876 überquerte nicht weit von dort eine prominente Gruppe von Asylsuchenden die Grenze: Nach dem Sieg über General Custer zog sich Häuptling Sitting Bull mit rund 5000 Männern nach Kanada zurück, um der Rache der US-Armee zu entgehen. Damals ritt James Morrow Walsh von der North West Mounted Police alleine ins Lager der Krieger und handelte einen Frieden aus. Der Mut des Mounties und sein Respekt vor den Ureinwohnern trugen mit zum Ruf der Rotröcke als unparteiische Friedensstifter bei.

Mit den Banditen hatten es die Mounties schwerer: Erst fünf Jahre nach Einrichtung des Postens zeigte ihre Präsenz Wirkung. Der skrupellose Sam Kelly lieferte sich selbst aus. Er kam jedoch mangels mutiger Zeugen wieder frei und starb im Alter von 76 Jahren. Was aus Dutch Henry wurde, konnte Tamela Burgess nicht herausfinden: „Bei der Recherche bin ich auf drei verschiedene Dutch Henrys gestoßen. Einer verschwand in Südamerika. Der zweite brach sich das Genick. Der dritte wurde von der Polizei erschossen. Und alle waren Pferdediebe!“

Der Autor reiste mit Unterstützung von Tourism Saskatchewan.

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