Eine Reise in die Azteken-Küche

Geröstete Grashüpfer, Huhn in Schokoladensoße oder „Steinsuppe“: Die mexikanische Küche mit ihren indianischen Wurzeln gehört zum immateriellen Weltkulturerbe.

Der Hauptplatz von Oaxaca mit geschlossenen Augen: Es riecht nach Tortillas und heißer Schokolade, nach Tequila und Kaffee, nach Mangos, geröstetem Mais und Zuckerwatte. Die Luft ist erfüllt vom Geschrei tobender Kinder und den schrägen Tönen einer indianischen Blaskapelle. Jedes Stück Mauer, jede Bank, jeder Brunnen unter den knorrigen Feigenbäumen neben der Kathedrale aus dem 16. Jahrhundert ist besetzt. Der Platz ist Wohnzimmer und Konzertsaal, Flaniermeile und Debattierclub in einem. Vor allem aber ist er ein Speisezimmer. An kleinen Ständen gibt es frisch geschnittene Früchte mit Chilipulver, Chips mit scharfer Soße, Wassereis mit exotischen Sorten wie Guave oder Chirimoya. Und unter den Arkaden am Rande des Platzes laden Restaurants zum Schlemmen ein: Oaxaca ist nicht nur eine koloniale Perle, sondern auch eine kulinarische Hauptstadt.

Eine Reise in die Azteken-Küche
Foto: Oliver Gerhard

Die Zutaten der Küche kommen aus dem umliegenden Hochland der Sierra Madre. Zum Beispiel aus Tlacolula mit seinem berühmten Markt. Jeden Sonntag sitzen Indianerfrauen mit grauen Zöpfen dort vor Kräuterbündeln und Pyramiden aus Avocados. Obststände verlocken zum Probieren und einige Händler haben sich auf Chilis spezialisiert, von mild bis feurig scharf. Fleischlappen hängen über Steinplatten, daneben strecken gerupfte Hühner ihre Beine in die Luft. Es gibt frittierte Schweineschwarten, Blumen, Stockfisch, Schokoladenblöcke, Kaktusblätter und Lederpeitschen — alles, was man in den Dörfern des Hochlandes so braucht.

Ana Hernandez, Köchin

Aus großen Säcken werden geröstete Grashüpfer verkauft, wahlweise in den Geschmacksrichtungen Limone, Knoblauch oder „Natur“ — ein beliebter Snack der Einheimischen. Überall qualmen Holzkohlegrills, von denen es verführerisch duftet. Doch der Geheimtipp blubbert in einer eisernen Wanne: Köchin Ana Hernandez ist für ihre geschmorte Ziege berühmt. Mindestens sechs Stunden müsse das Fleisch in einem Ofen mit Holz und heißen Steinen garen, erklärt die Chefin: „Seit vielen Generationen geben wir schon das Rezept weiter.“

Dass die Familien auf den Dörfern kulinarische Schätze hüten, hat sich inzwischen auch unter Profiköchen herumgesprochen. Restaurantchef Oscar Carrizosa reist regelmäßig von Oaxaca durch die kleinen Orte, um nach Rezepten aus prähispanischer Ära zu suchen. „Die Landbewohner haben diese Gerichte immer zubereitet“, sagt Carrizosa. „Aber erst der Tourismus hat das Interesse der Mexikaner geweckt — und unseren Stolz.“ Besonders faszinierend findet der Gastronom die regionalen Unterschiede: „In einem Dorf werden Eidechsen zubereitet, in einem anderen gibt es ,Steinsuppe’.“ Carrizosa bietet diese Spezialität auf der Dachterrasse seines Restaurants mit Blick auf die prächtige Kirche Santo Domingo an: Er gibt Shrimps, Wasser und Gemüse in eine Schale, dann legt er einen glühenden Flussstein hinein. Schlagartig beginnt das Wasser zu brodeln — lange genug, um die Zutaten zu garen.

Wer bei mexikanischer Küche an Chili con Carne oder knusprige Taco-Schalen denkt, muss sein Weltbild korrigieren: Beide sind dort unbekannt. Mexikos Landesküche ist so vielseitig, dass sie neben der peruanischen als beste in Lateinamerika gilt, die Unesco erklärte sie 2010 sogar zum immateriellen Weltkulturerbe.

Ihre Wurzeln reichen zurück in die vorkoloniale Zeit: Schon die Azteken kochten mit Tomaten und Chilis, Avocados und Schokolade. Die Basis bildet bis heute der Mais, für den die Ureinwohner sogar einen eigenen Gott hatten. Wenn man morgens durch die Straßen schlendert, hört man das Klatschen des Teiges aus den Küchen und das Rattern der Fließbänder aus den Tortilla-Bäckereien. „Wann gehst Du Brot holen?“, fragten die Männer früher, wenn sie ein Date einzufädeln versuchten, denn die Mädchen durften nur zum Tortilla-Kauf aus dem Haus.

Man muss jedoch keine Eidechsen, Grashüpfer oder Agave-Würmer essen, um Welterbe-Küche zu genießen. Auf Märkten, an Straßenständen und in Familienrestaurants finden Besucher Tortillas, dünne Fladen aus Mais, Salz, Wasser und Kalk — das tägliche Brot der Mexikaner. Gefüllt mit Fleisch oder Fisch, Gemüse oder Käse werden sie zu „Tacos“. Dazu gibt es Guacamole und Soßen aus grünen Tomaten oder roten Chilis.

Jede Region, jede Stadt hat ihre eigenen Spezialitäten. In Mexico City sind es zum Beispiel „Tacos al Pastor“, die mit dünnen Fleischstreifen von einem Döner-ähnlichen Drehspieß gefüllt und mit frischem Koriander und Limone serviert werden. In Puebla pflegt man die Kunst der „Mole“, einer Soße aus mindestens 25 Zutaten inklusive Chilis und Schokolade. Die Zubereitung können Interessierte in Kochkursen lernen, die inzwischen in vielen Restaurants buchbar sind. Köchin Reyna unterrichtet in Puebla nicht in einer schicken Schule, sondern in ihrem Lokal, in dem sie jeden Tag hinter dem Herd steht. Passanten bleiben neugierig am Fenster stehen, um den „Gringos“ zuzusehen, wie sie Tortillas füllen, Tomaten pürieren und Avocados schneiden. Wenn die Kochschüler Mexiko wieder verlassen, haben sie Chilischoten und Mezcal im Gepäck, Trinkschokolade und grüne Tomaten — wie einst die spanischen Entdecker.

Der Autor reiste mit Unterstützung von Intrepid Travel und KLM.

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