Der allmähliche Abschied vom Abteil

Berlin (dpa) - Großraum oder Abteil? Bahnkunden in Deutschland wird sich diese Frage immer seltener stellen. Der Fernzug der Zukunft soll nur noch offene Sitzreihen haben. Die sind bei vielen beliebt - und auch effizienter.

Es ist der allmähliche Abschied von einer Ära auf den Schienen: Klassische Abteile mit ihren gläsernen Schiebetüren wird es bei der Bahn in einigen Jahren immer weniger geben. Bei neuen Zügen setzt der bundeseigene Konzern künftig ganz auf Großraumwagen. Das gilt auch für die milliardenteure nächste Fahrzeuggeneration im Fernverkehr, die ab 2016 zuerst die betagten Intercitys und ältere ICE ersetzen soll. Fahrgastvertreter sehen den Wandel ohne Wehmut - viele Reisende mögen offene Sitzreihen wie im Flugzeug schon jetzt lieber. Doch bei der Großraumplanung sei noch einiges zu verbessern.

„Es gibt einen starken Trend in Richtung Großraum“, sagt ein Bahnsprecher. Rund 80 Prozent der Fahrgäste wollten mittlerweile lieber dort sitzen. „Die Nachfrage nach Abteilplätzen hat sich in den vergangenen 20 Jahren etwa halbiert.“ Dabei hat das Reisen in einem stärker abgeschirmten Bereich für einige durchaus Charme. Abteil buchen gern ältere Leute auf der Fahrt in den Urlaub und Familien mit kleineren Kindern, aber auch Geschäftsreisende. „Es geht ihnen um mehr Ruhe und dass man sich nicht von anderen auf Unterlagen oder in den Laptop schauen lassen möchte“, erläutert der Sprecher.

Doch die entspannte Stimmung kann leicht umschlagen, wie auch der Fahrgastverband Pro Bahn beobachtet hat. „Zu zweit ist es sehr schön in einem Abteil“, sagt der Vorsitzende Karl-Peter Naumann. Wenn aber alle sechs Plätze belegt sind, sei es manchen doch eher unangenehm, Knie an Knie mit Mitreisenden zu sitzen. Vor allem Intercitys haben noch relativ viele Abteile, in den Erste-Klasse-Wagen sind dort fast zwei Drittel der Sitze. Die ältesten ICE 1 haben insgesamt knapp ein Drittel Abteilplätze, die jüngsten ICE 3 etwa 15 Prozent in der Ersten Klasse.

Nicht wirklich beliebt ist vor allem der mittlere der jeweils drei nebeneinanderstehenden Abteilsessel. Die meisten Reisenden zieht es daher in die Großraumwagen, die bei der Bundesbahn seit den siebziger und achtziger Jahren immer stärker aufkamen. Trotz der größeren Offenheit finden es darin viele anonymer und dadurch angenehmer. Für die Planer im Fahrzeugmanagement des Fernverkehrs sind Großraumwagen auch wirtschaftlicher. Diese haben in der Zweiten Klasse vier Sitze je Reihe, in Abteilwagen passen nur drei. In Intercity-Wagen bedeute dies 80 statt 66 Sitze. Bei gleicher Zuglänge mehr Plätze anbieten zu können, spare zudem Energie.

Für offene Sitzreihen, wie sie beim französischen TGV Standard sind, entschied sich die Bahn denn auch bei mehreren Großaufträgen. Die ab dem Jahreswechsel erwarteten 16 neuen ICE 3 haben keine Abteile, genau wie die für 2013 bestellten Doppelstockfernzüge auf ihren beiden Etagen. Und auch die vorerst 220 Modelle der künftigen Fernflotte mit dem Projektnamen ICx soll Hersteller Siemens ab 2016 komplett in Großraumausstattung liefern. Eine gewisse Abschirmung erhalten allein 14 Sitze in Erste-Klasse-Wagen - durch Glastüren im Mittelgang als Arbeits- oder Ruhebereich „mit Abteilcharakter“.

Einen Vorgeschmack können Reisende schon bei ICE-2-Zügen bekommen, die gerade generalüberholt werden. In modernisierten Wagen Erster Klasse sind einige Plätze mit einer mannshohen Glaswand hinter den Sessellehnen abgegrenzt. Generell solle bei den Großraumplanungen auf genug Stauraum für Gepäck nahe am Platz geachtet werden, sagt Pro-Bahn-Chef Naumann. Und dass Fensterplätze auch tatsächlich einen Blick ins Freie böten und nicht auf ein Stück Wagenwand.

Dass die ICx wegen langwieriger Vertragsverhandlungen erst später kommen als geplant, beschert Abteilfreunden immerhin eine kleine Verlängerung. Für die Überbrückungszeit bekommen 800 alte Intercity-Wagen noch einmal eine letzte Schönheitskur - und behalten ihre Glasboxen mit Schiebetür zum Seitengang.

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