Falsches Fell - Friedliche Kampfhunde im Tierheim

Berlin (dpa) - Wenn Sieglinde Stasny mit ihrem Leih-Hund Gassi geht, machen viele Menschen einen großen Bogen um sie. So auch an diesem Sonntag auf einem matschigen Feldweg in Berlin. Ein Vater nimmt seine Tochter auf den Arm, als sie mit dem aggressiv dreinschauenden Vierbeiner vorbei läuft.

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Konzentriert führt die Rentnerin Hund Shrek an dem Vater vorbei. Das kniehohe, bullige Tier fällt mit seinem großen, keilförmigen Kopf, den weit auseinanderliegenden hellen Augen, und der rot gefärbten Schnauze auf. Nur wenige Zentimeter kann das Tier sein Maul öffnen. Ein Korb aus Kunststoff hat ihm Stasny um die Schnauze gebunden. Das Gesetz will es so.

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Das Gesetz über das Halten und Führen von Hunden in Berlin ordnet Shrek als sogenannten Listenhund ein. Als Stafford-Terrier-Mix gehört er zu jenen Tieren, die vom Senat des Landes vor einigen Jahren auf den Index gesetzt wurden und als gefährlich gelten. Sie sollen angriffslustig, kampfbereit und aggressiv sein. Sie werden deshalb oft als Kampfhunde bezeichnet.

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Statt einer Leine verbindet Sieglinde Stasny mit dem Hund ein roter, armbreiter Gurt. Die eine Seite hält die rüstige Frau fest in beiden Händen. Die andere ist mit zwei Karabinern am Geschirr des Hundes eingehakt. Sicher ist sicher. Jederzeit könnte das Tier an der Leine zerren und sein Frauchen mitreißen. Doch Shrek trottet neben ihr durch den Matsch.

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Seit etwas mehr als sieben Jahren führt die 66-Jährige ehrenamtlich Hunde aus, die im Berliner Tierheim untergebracht sind. Angetan haben es ihr die besonders schweren Fälle, die oft jahrelang darauf warten, vermittelt zu werden. Im Schnitt dauert es etwa 450 Tage, deutlich mehr als ein Jahr, ehe für einen Listenhund ein neuen Besitzer gefunden wird. Ein normaler Hund muss dagegen nur knapp fünf Monate warten.

Shrek harrt seit bald 2000 Tagen oder fünfeinhalb Jahren in einem der größten Tierheime Europas aus. Niemand will ihn adoptieren. Für Sieglinde Stasny ist das völlig unverständlich. „Er ist so ein liebenswerter Hund. Er mag Suchspiele, kann sich benehmen - ist aber ein bisschen sensibel. Und schreckhaft. Daher sein Name.“

Tierpfleger Daniel Prinich kennt den Dauergast im Heim seit Jahren. Er will Shrek zum Gassigehen mit seinem Leih-Frauchen aus seiner Box holen. Vorsichtig öffnet Prinich die Tür von einem runden Raum, in dem elf Hunde getrennt voneinander leben. Sofort schlagen die Tiere an, bellen durcheinander und springen wild an den Gittern der Boxen hoch. Vor manchen Boxen warnt ein rotes Schild mit schwarzer Schrift: „Bissig!“.

Die Box von Shrek erinnert weniger an einen Raum für Hunde, als an eine spärlich eingerichtete, vielleicht etwas klein geratene, Studentenbude. Beige Fließen am Boden und eine Topfpalme sorgen für mediterranes Ambiente. An einer Wand steht eine etwas abgenutzte Couch. Der Blick aus dem bodentiefen Fenstern geht ins Grüne. Das Tier soll sich an Wohnzimmer gewöhnen.

Im Gewirr des gellenden und heißer werdenden Gebells dreht sich Shrek vor lauter Aufregung im Kreis. Speichel läuft im aus dem Maul. Willig lässt er sich das Geschirr anlegen, an das sein Leih-Frauchen später ihren roten Gurt einhaken wird. Widerwillig lässt er sich von seinem Pfleger den Maulkorb über die Schnauze stülpen.

„Shrek ist als Fundtier ins Tierheim gekommen“, erinnert sich Prinich. „Wir nehmen an, dass er aus kriminellen Kreisen kommt. Man wollte ihn wohl als Kampfhund erziehen.“ Weil er weder so aggressiv und noch so bissig wie andere seiner Rasse ist, war er für seine Züchter wahrscheinlich unbrauchbar. Ein Hund im falschen Fell.

Viele von Shreks Zimmergenossen werden als Listenhunde geführt und sollten einst zu Kampfmaschinen ausgebildet werden. Bei illegalen Kämpfen im In- und Ausland über Artgenossen herfallen, sie zerfleischen und ihre Besitzer stolz machen. Im Tierheim gelandet sind sie, weil sie ausgesetzt worden sind, Menschen oder Tiere gebissen haben oder bei Durchsuchungen beschlagnahmt worden sind.

Wie ein verspielter Familienhund wälzt sich Shrek beim Spaziergang in hohem Gras und tollt auf dem Weg herum. In einer schwarzen Bauchtasche hat Sieglinde Stasny Leckerli dabei. Fingernagelgroßes, buntes Trockenfutter, mit dem sie den Listenhund belohnen möchte. Auf Kommando gibt das Tier seine Pfote oder setzt sich vor die Rentnerin. Dafür greift die 66-Jährige in ihr Täschchen, und greift eines heraus. Mit spitzen Fingern hält sie es vor den Maulkorb des Hundes. Trotz des Gestells schnappt sich Shreck behutsam seine Belohnung.

Mit den Jahren hat die ehemaligen Archivarin die Hunde liebgewonnen. So sehr, dass sie sich einmal in der Woche Zuhause an den Herd stellt, und für die Vierbeiner kocht. „Für Hunde mit einer Getreideallergie koche ich schon mal eine Hühnerbrühe mit Nudeln.“ Aber auch Rinderherzen oder Hühnermägen rühre sie regelmäßig zusammen.

Für Shrek hat sie heute ein gekochtes Ei und Joghurt mitgebracht. Mitversorgen will sie an diesem Sonntag noch Dutzende weitere Hunde im Heim. In Plastikdosen hat sie zwei Kilogramm Nudeln, 30 Eier verpackt. Dazu Fleischwurst. Verfüttern sollen das die Pfleger.

Donnerstags und sonntags geht Sieglinde Stasny mit Shrek spazieren. Jeweils eine Stunde. „Bei Wind und Wetter - ohne Ausnahme“, betont sie. Danach hängt sie noch mal zwei Stunden ran, um zwei weitere Listenhunde auszuführen.

Darunter auch ein Stafford-Mix, den Pfleger Prinich als „Härtefall“ bezeichnet. „George mag fremde Leute nicht und reagiert bei Begegnungen offen aggressiv.“ Attacken auf Menschen und andere Tiere sind jederzeit möglich. Er sei einer der wenigen Listenhunde im Heim, dessen Aggression sehr ausgeprägt sei. „Wenn ich mit dem Hund unterwegs bin, schaue ich, dass mir niemand begegnet“, sagt Stasny. Er sei das komplette Gegenteil von Shrek.

Das Berliner Tierheim vermittelt nach Angaben von Sprecherin Beate Kaminski Listenhunde nur an bestimmte Menschen: „Es muss eine schriftliche Erlaubnis zur Haltung vom Vermieter vorliegen“. Dem Heim müsse zudem versichert werden, dass die Tiere nicht länger als sechs Stunden alleine daheim verbringen müssen. Das Land Berlin erwartet von Hundehaltern neben der Volljährigkeit auch ein Führungszeugnis, einen Sachkundenachweis und den Beweis, dass der Hund „keine über das natürliche Maß hinausgehende Kampfbereitschaft, Angriffslust, Schärfe“ gegenüber Menschen oder Tieren aufweist.

Die Runde mit Stafford-Terrier Shrek ist für diesen Sonntag fast vorüber. Am Horizont sind die Plattenbauten von Berlin-Marzahn zu sehen. Unzählige Balkone deuten auf tausende Wohnungen hin. Tausende potenzielle Hundefreunde wohnen dort. Viele könnten sich für einen Listenhund erwärmen, glaubt Tierpfleger Prinich. „Die Vermieter der großen Wohnungsbaugenossenschaften wollen solche Hunde in ihren Wohnungen nicht haben“, sagt der 35-Jährige und zieht dabei die Schultern nach oben. „Welcher Berliner hat schon ein Häuschen mit Garten?“

Zurück vor dem Tor des Hundehauses zeigt Shrek, wie kräftig er ist. Er reißt mit aller Kraft am Gurt. Offenbar zieht es ihn wieder zurück in sein kleines Wohnzimmer. Gut 35 Kilogramm wiegt der Rüde. „Schon ein 20 Kilo-Hund kann einen kräftigen Mann ordentlich in Schwierigkeiten bringen“, warnt Shrecks Pfleger. Sieglinde Stasny hält wacker dagegen und lässt sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Sie hat das Tier im Griff.

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