Wer soll das bezahlen? Stromnetz-Ausbau wird teuer

Düsseldorf (dpa) - Energiewende in Deutschland: die Erneuerbaren kommen. Ein gewaltiger Ausbau der Netze ist nötig, um mehr grünen Strom zum Verbraucher transportieren zu können. Der Umbau verschlingt Milliardensummen.

Am Ende zahlen die Verbraucher die Zeche.

Sie sind die Lebensadern einer Volkswirtschaft. Stromleitungen legen sich wie ein Spinnennetz über das ganze Land. Auf Trassen und in der Erde vergraben ziehen sich Leitungen mit einer Gesamtlänge von mehr als 1,7 Millionen Kilometern mit unterschiedlichen Spannungsebenen von den Erzeugern bis zu den Endkunden. Zuverlässig soll die Versorgung mit Strom laufen und zu erschwingbaren Preisen. Doch mit dem beschleunigten Ausbau von Wind- und Sonnenenergie droht das Energiesystem aus dem Gleichgewicht zu kippen. Neue Netze und Speicher müssen her, um mehr schwankende Strommengen aufnehmen zu können. Das alles kostet - wer zahlt?

Schon länger wird über milliardenschwere Netzinvestitionen diskutiert - die Reaktorkatastrophe in Japan gibt den erneuerbaren Energien jetzt einen kräftigen Schub. „Das Abschalten der sieben ältesten Kernkraftwerke und das Aussetzen der Laufzeitverlängerung geben uns die Chance, den Aus- und Umbau der Verteilnetze ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen“, sagt der Chef des Verbandes der Kommunalen Unternehmen (VKU), Hans-Joachim Reck.

Netzlänge und Kosten: Zum einen müssen die Hochspannungsübertragungsnetze mit 380 Kilovolt aufgerüstet werden. Für sie hat die Deutsche Energieagentur (Dena) im vergangenen Jahr einen Ausbaubedarf von 3600 Kilometern ermittelt. Kostenpunkt laut Dena: rund 10 Milliarden Euro. Auch für die fast 50 Mal so langen Verteilnetze mit Spannungsebenen von 110 KV und darunter besteht hoher Ausbaubedarf, um die vielen dezentralen Wind- und Sonnenanlagen dort andocken zu können. Der Bundesverband Energie und Wasserwirtschaft (BDEW) beziffert die Investitionen bis 2020 mit einem Volumen von 13 Milliarden Euro. Fast 200 000 Kilometer Leitungen müssten neu verlegt werden, orakelt der Verband.

Nicht nur die großen Verteilnetzbetreiber Eon und RWE, auf die allein die Hälfte dieser Verteilnetze entfallen, sind gefordert. Auch Hunderte von Stadtnetzbetreibern müssen aufrüsten: Der VKU errechnete bis 2030 einen Investitionsbedarf von 25 Milliarden Euro. Ohne solche Verteilnetze ist eine dezentralere Energieerzeugung jedenfalls nicht zu haben: Intelligente Verteilnetze seien der zentrale Baustein für die Integration dezentraler Erzeugungsanlagen, betont der VKU.

Der Bedarf ist groß, doch der Ausbau stockt. Vor allem gegen neue Stromleitungen und -trassen, aber auch gegen als Ungetüme empfundene Windräder regt sich in der Bevölkerung Widerstand. Der Bundesverband Erneuerbare Energien rät zur Erdverkabelung, weil die Akzeptanz deutlich höher sei. Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur, appelliert an die Einsicht der Kritiker: „Wer Sorgen vor der Kernenergie hat, muss den nötigen Netzausbau für die erneuerbaren Energien akzeptieren.“

Intelligente Netze: Doch beim Netzausbau geht es nicht nur um die Länge, sondern auch um Intelligenz. „Wir investieren in die Netze und machen sie immer intelligenter“, betont etwa Jürgen Esser von RWE. Denn Strom nimmt nicht nur den Weg vom Kraftwerk zum Endkunden, er fließt auch in die Gegenrichtung. Denn immer mehr Stromkunden speisen Energien aus ihren dezentralen Anlagen ins Netz. Das erfordert eine intelligente und komplexe Steuerung der Stromflüsse - zumal Sonnen- und Windstrom nicht stetig fließen.

Energiespeicher: Damit überschüssiger Windstrom ins Netz aufgenommen werden kann und sich Windräder nicht im Leerlauf drehen, muss außerdem in neue Energiespeicher investiert werden. Sie sollen Ausgleichsenergie bei Spitzenlasten bereitstellen oder Strom in die Netze abgeben können, wenn auf Ost- und Nordsee gerade Flaute herrscht. Deshalb wird der Einsatz von Druckluftspeichern oder auch von Windgas geplant: Dabei wird Windstrom in Gas umgewandelt und in Erdgasnetzen gespeichert. In Gaskraftwerken oder Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen wird das Gas später wieder in Strom umgewandelt.

Preise: Was heißt die Energiewende am Ende für die Verbraucher? EU-Energiekommissar Günter Oettinger hält wegen der Netzinvestitionen von 200 Milliarden Euro in Europa bis 2020 steigende Strompreise für unvermeidlich. Auch Netzagentur-Chef Kurth geht davon aus, dass am Ende des Tages die Verbraucher zur Kasse gebeten werden.

Energieexpertin Claudia Kemfert hält dagegen höhere Preise keineswegs für zwingend. Durch den Umstieg auf die Erneuerbaren würden sich konventionelle Energieträger nämlich verteuern, argumentiert die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Und ein funktionierender Wettbewerb in der Energiewirtschaft könne den Preisauftrieb zusätzlich dämpfen.

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