Hochstapeln mit Stroh: Ein Bürohaus wie kein zweites entsteht

Verden (dpa) - Fünf Etagen hoch aus Stroh und Holz: In Niedersachsen entsteht ein Leuchtturmprojekt des ökologischen Bauens. Nirgendwo sonst in Europa gebe es bisher ein vergleichbares Bürogebäude, heißt es.

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Jetzt sollen mehr Bauherren überzeugt werden.

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Christian Silberhorn will dem ökologischen Bauen in Deutschland einen Schub verleihen. Sein bestes Argument hat eindrucksvolle Maße, ist fünf Stockwerke hoch und fast nur aus Holz, Stroh, Kalk und Lehm gebaut. Das Ausstellungs- und Bürogebäude des Norddeutschen Zentrums für Nachhaltiges Bauen entsteht im niedersächsischen Verden auf dem Gelände einer alten Kaserne. Aufwendig sei die Baugenehmigung gewesen, berichtet der 53 Jahre alte Geschäftsführer. „Denn wir bauen unter Bedingungen, die es noch nicht gegeben hat.“ Im September soll Eröffnung gefeiert werden.

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Was macht das Haus besonders? Der Keller ist ganz normal gemauert und mit einer Betondecke abgeschlossen. Alles darüber ist anders. Wie ein traditionelles Fachwerkhaus besteht das gut 17 Meter hohe Gebäude aus einer tragenden Holzkonstruktion. Mächtige Ständer und Riegel aus Fichte, Kiefer und Douglasie bilden das Gerüst. Die Wände bestehen aus 48 Zentimeter gepresstem Stroh.

Zu sehen ist davon im endgültigen Zustand nichts. „Brandschutzauflagen“, sagt Silberhorn: Gipsfaserplatten und Kalkputz verdecken das entflammbare Innenleben der Wände. Wenn jemand eine Stunde lang mit einem Brenner auf die Wand ziele, dürfe sich das Stroh noch nicht einmal verfärben, erklärt der studierte Verwaltungsfachmann. „Das ist die höchste Anforderung, die man schaffen kann.“ Treppenhaus und Fahrstuhlschacht bestehen aus massivem Leimholz. Die Decken zwischen den Stockwerken wurden aus einer Vielzahl von Balken zusammengesetzt.

Die Innenwände sind aus Ständern und Lehmplatten konstruiert, die mit Lehm verputzt werden. „Das sorgt für ein gesundes Raumklima.“ Wenn alles fertig ist, wird man erst auf den zweiten Blick Unterschiede zu herkömmlichen Bürohäusern erkennen. Das Gebäude kann mit seinen Solarzellen auf dem Dach mehr Strom produzieren, als die Wärmepumpe zum Heizen verbraucht. Entscheidend ist nach Silberhorns Überzeugung aber auch die Kohlendioxidbilanz bis zur Fertigstellung. Während in die Produktion herkömmlicher Baustoffe sehr viel Energie gesteckt werden muss, wirken Holz und Stroh als echte CO2-Senker. Die nachwachsenden Baustoffe entziehen der Atmosphäre dauerhaft Kohlendioxid.

Nach Angaben des Fachverbands Strohballenbau Deutschland e.V. stehen in Deutschland bisher erst rund 250 Strohhäuser. In Ländern wie den USA oder Kanada, aber auch in den Niederlanden, Frankreich oder England ist die Technik verbreitet. Im Schweizer Wallis eröffnete 2012 sogar ein Hotel in Strohbauweise. Deutschland hole bei der Zahl der Häuser langsam auf, sagt Dittmar Hecken vom Fachverband. „Wir müssen noch bekannter werden und Vorurteile abbauen.“ Wichtige Hürden bei den strengen deutschen Baugesetzen seien inzwischen nach vielen Untersuchungen genommen.

Überzeugungsarbeit müsse man beim Thema Brandschutz leisten. „Stroh brennt“, höre er immer als Argument, sagt Hecken. Dabei sei die Sicherheit bei Feuer nachgewiesen. Auch hätten manche Interessenten Angst vor Mäusen. Dabei stehe Stroh gar nicht auf deren Speiseplan. Die kleinen Nager gelangen nur bei Konstruktionsmängeln und nicht häufiger als bei konventionellen Häusern in die Dämmung. Was die Haltbarkeit von Strohballenhäusern angeht, hat Hecken ein aktuelles Beispiel aus den USA parat. Dort wurde kürzlich an einem 1910 gebauten Haus eine Strohballenwand weggenommen, weil etwas angebaut werden soll. „Das Stroh war noch gelb“ - von Schimmel oder Zersetzung keine Spur.

Nicht weit vom Neubau entfernt öffnet Christian Silberhorn das Tor einer alten Panzerhalle. Nach High-Tech-Entwicklung sieht es nicht gerade aus. Im Hintergrund sind ein Berg Strohballen, eine Vielzahl verschiedener Holzrahmenkonstruktionen und eine Kreidetafel zu sehen. Dennoch entstehen hier die Techniken, die dem Bauen mit Stroh zum Durchbruch verhelfen sollen. Silberhorns Mitstreiter experimentieren zunehmend mit losem, fest eingepresstem Stroh, weil die Verwendung ganzer Strohballen nicht flexibel genug ist. „Das Ziel ist eine maschinelle Herstellung der Wandsegmente.“

Dass sich Häuslebauer am ehesten durch Zahlen überzeugen lassen, hat Silberhorn längst erkannt. Die Kosten seien mit konventioneller Bauweise konkurrenzfähig, meint er. Zusätzlich zu einem guten Ökogewissen gibt es noch eine dauerhafte Entlastung bei den Heizkosten. Die 1800 Quadratmeter Nutzfläche im fünfgeschossigen Neubau brauchen nur etwa so viel Energie wie ein Einfamilienhaus aus den 80er Jahren. Pro Quadratmeter sind es den Planern zufolge acht Kilowattstunden im Jahr.

Im Erdgeschoss und Keller des Gebäudes, das im September eröffnet werden soll, wird das Norddeutsche Zentrum für Nachhaltiges Bauen eine 500 Quadratmeter große Ausstellung präsentieren, die sich an Handwerker, Planer, Bauherren, aber vor allem auch an Schüler und Studenten richtet. Bezahlt wird das Millionenprojekt zum größten Teil von EU, Land und Landkreis sowie der Stadt.

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