Eine twitternde Eiche - Botschafter der Natur

Erlangen (dpa) - In Facebook hat sie schon mehr als 3000 Freunde, andere warten ungeduldig auf ihre Twitternachrichten - ausgestattet mit Messgeräten und vernetzt mit dem Internet sorgt eine „sprechende Eiche“ im Botanischen Garten von Erlangen derzeit für Aufsehen.

Sie liebt das Sonnenbad am Morgen und macht daraus keinen Hehl: „Dieser Sonnenstrahl kitzelt meine Blätter - ich fühl' mich gut“, schwärmt die stämmige Eiche Kim in einer Twitternachricht an ihre Fans. Wer sich jetzt in Tolkiens phantastische Romanwelt versetzt fühlt und Kim für einen der baumähnlichen Phanastiefiguren aus „Herr der Ringe“ hält, der hat noch keinen Blick in den Botanischen Garten in Erlangen geworfen. Dort hat Kim seit 150 Jahren ihren angestammten Platz - mit ihrer artfremden Mitteilungsfreude sorgt sie allerdings erst seit paar Wochen für Aufsehen im Internet.

Ihre menschliche Sprache verdankt die Eiche Wissenschaftlern der Universität Erlangen und der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“. Die Forscher horchen mit mehreren Messgeräten in den Baum hinein und zeichnen neben dem aktuellen Wetter, auch den Saftfluss im Baum auf und messen ständig sein Wachstum. Über eine Blackbox werden diese Daten gesammelt und direkt ins Internet gestellt. Online-Redaktionsleiter von Spektrum der Wissenschaft, Daniel Lingenhöhl, setzt die Daten regelmäßig in kurze Botschaften um, die im Namen des Baumes an seine Fangemeinde gehen. Vorbild für das Projekt ist eine twitternde Buche in Belgien.

„Was für ein Tag! It's Fotosynthese time!“, freute sich die Eiche zum Beispiel vor ein paar Tagen. Später kommentierte die Eiche mit Hilfe ihres Übersetzers die Fotosynthese - den Wachstumsprozess mit Hilfe des Sonnenlichts - mit der Twitternachricht: „Die Säfte fließen durch meine Adern - ich leiste Schwerstarbeit“. Ein anderes Mal heißt es mit Blick auf optimale Wachstumsbedingungen: „Traumwetter, Freunde - ich verrichte dann mal mein Tagwerk“. Ein paar Tage später zeigt Kim erste Herbstgefühle: „Die Temperaturen fallen - und meine Blätter bald auch“.

Kritikern, die den hochwissenschaftlichen Aspekt des Projekts vermissen, entgegnen Lingenhöhl und der Kurator des Botanischen Gartens, Walter Welss: Die heutige Internetgeneration komme eben häufig nicht mehr selbst in die Natur; da könne die twitternde Eiche als Botschafter der Natur die Kommunikation zwischen den Menschen und der Umwelt anregen. Das große Interesse der Medien an dem sprechenden Baum zeige, dass man auf dem Weg über das Internet mehr Menschen auf die Bedeutung der Bäume und deren Probleme aufmerksam machen könne.

Die 18 Meter hohe Eiche wurde nach Welss Angaben vor allem deswegen ausgewählt, „weil sie nichts Besonderes ist, sondern ein normaler, typischer Baum.“ Seit Kurzem nennt Cathrin Meinardus vom Institut für Geografie den Baum „Kim“; denn was redet, das solle auch einen Namen haben, meint sie - und zwar einen, der wie der Baum nicht geschlechtsspezifisch sei.

Mittlerweile hat Kim schon mehr als 3000 Freunde auf Facebook. „Das ist nicht schlecht für einen Baum“, meint Lingenhöhl. „Den belgischen Baum mit seinen 17 000 Freunden wollen wir aber noch übertrumpfen.“ Besonders freue sich das Team, wenn Menschen die Eiche direkt vor Ort besuchten, sagt Philipp Hochreuther vom Institut für Geografie. Er selbst klettere einmal im Monat auf den Baum, um die Daten aus der Blackbox abzulesen. Das Projekt soll 2012 weiterlaufen, denn gerade im Frühjahr, sagt Lingenhöhl, sei die spannendste Zeit der Baumentwicklung. Wünschenswert sei auch eine internationale Umsetzung der Idee mit unterschiedlichen Baumarten weltweit.

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