Wenn das Leben im Müll erstickt

Nicht nur eine vollgestopfte Wohnung weist auf die Krankheit hin, auch extreme Sammler sind gefährdet.

Düsseldorf. Fast jeder hat eine Ecke in der Abstellkammer, der Garage oder dem Küchenschrank, die er nur ungern ansieht. Eine Ecke, die das schlechte Gewissen hervorruft, weil sich Dinge dort stapeln, die man aufgehoben hat und nun doch nicht mehr braucht - wo sich Müll und Brauchbares zu einem undurchdringbaren Wust vermischen.

Glücklich kann sich schätzen, wer nur eine solche Ecke hat. Eva Roth dagegen ist ein Mensch, den das Chaos überrannt hat. Das Sammeln hat krankhafte Züge. Ganze Lagerhallen hat die Musikerin und Künstlerin aus Hessen angemietet, um ihr Hab und Gut in über 1500 Bananenkisten unterzubringen.

Eva Roth ist ein "Messie", ein Mensch, der Schwierigkeiten hat, Haushalt und Alltag zu organisieren, der unordentlich und zumeist auch unpünktlich ist (engl. mess Unordnung). Dazu gehören nicht die ganz schweren Fälle, bei denen die komplette Wohnung vom Fußboden bis zur Decke mit Unrat und Müll voll gestopft sind.

Das Messie-Dasein beginnt oft damit, dass man Dinge nicht zu Ende führen kann. Der Messie verzettelt sich, räumt nach dem Frühstück das Geschirr nicht ab, später bleibt auch noch der Teller vom Mittagessen bis zum Abendbrot stehen. Er tut alles andere, nur nicht aufräumen.

Ohne System wird so lange alles gehortet, bis die Wohnung unbewohnbar wird. "Was einmal den Eingang in die vier Wände geschafft hat, wird gesammelt", sagt Eva Roth, die mittlerweile eine Therapie macht und mehrere Messie-Bücher geschrieben hat. Diese auch als Desorganisationsproblematik bezeichneten Defizite beruhen auf einer psychischen Störung.

Das Ausmaß kann dabei ganz unterschiedlich sein. Von Unordentlichkeit mit irrationaler Sammelneigung am einen Ende des Spektrums bis hin zu schweren Formen eines Vermüllungssyndroms am anderen Ende.

Bei einigen verselbständigt sich, was als kreativer Lebensstil begann. Eigenschaften wie mangelndes Zeitgefühl, Vergesslichkeit, das Aufschieben unangenehmer Tätigkeiten aber auch Perfektionismus liegen dem Syndrom häufig zugrunde. Doch wo ist die Grenze zwischen "normaler" Unordnung,

Sammelleidenschaft und Messie-Symptom? "Wenn man wirklich unglücklich ist und nichts mehr geregelt bekommt, dann ist es Zeit, etwas zu tun." Die Betroffenen seien keine gleichgültigen, faulen Schlampen, sondern gefangen zwischen Ohnmacht und Überforderung, die in einer regelrechten Handlungsblockade mündet. Es ist nicht so, dass ihnen der Dreck nicht auffallen würde.

Im Gegenteil: ihr ganzes Denken kreist sogar darum. "Morgen räume ich auf" ist ein beinahe täglich gefasster Vorsatz, aus dem dann aber doch nichts wird. Nach außen hin versuchen sie jedoch, den Schein zu wahren. Freunde wüssten nur selten, was sich hinter den zugestapelten Wänden einer Messie-Wohnung tatsächlich abspielt.

Mittlerweile ist das Messietum als Krankheit anerkannt, die jedoch noch relativ wenig erforscht ist. Auslöser für die Sammelwut können Verlustängste oder Mangelerscheinungen in der Kindheit sein. Auch der Verlust des Ehepartners oder des Arbeitsplatzes kann Auslöser sein.

Messies seien in ihrer Sucht gefangen, aus der sie ohne therapeutische Hilfe nur selten herausfänden. Eva Roth rät den Betroffenen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. "Am besten ist eine tiefenpsychologische Behandlung." Auch der Besuch von Selbsthilfegruppen sei der erste Schritt.

"Es nutzt nichts, einfach nur ein Aufräumkommando zu bestellen. Dann ist das Chaos drei Wochen später wieder da." So nach und nach könne man dann anfangen, auszumisten. Kiste für Kiste ein Stück in die Normalität.

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