Schwierige Spurensuche im verflochtenen Lebensmittelmarkt

Berlin (dpa) - Die Massenproduktion von Lebensmitteln sorgt für günstige Preise in Deutschland und Europa - und nun für den nächsten Skandal. Liegt die Schwäche im eng verflochtenen System und zu zahmen Kontrollen?

Hier einige verbraucherrelevante Fragen und Antworten.

„Was drauf steht, muss auch drin sein.“ Da sind sich Kunden, Verbraucherschützer und die Politik im Prinzip einig. Trotzdem taucht nun Pferdefleisch in Fertigprodukten auf, in denen es nichts zu suchen hat. Fehlen dem Kontrollsystem ausreichend scharfe Zähne? Die Spurensuche im eng verflochtenen europäischen Markt für Lebensmittel ist schwierig. Hier einige Fragen und Antworten zu dem Thema:

Warum kommen überhaupt Zutaten aus diversen Ländern?

Im Binnenmarkt der EU können Waren frei gehandelt werden - das gilt auch für Lebensmittel und Rohstoffe wie Fleisch. Dabei stammen die verarbeiteten Grundwaren in der deutschen Ernährungsindustrie zu drei Vierteln aus dem Inland, wie es bei der Branchenvereinigung heißt. Manche exotische Zutat wie Kakao muss natürlich importiert werden. Generell können Rohstoffgeschäfte über mehrere Zwischenstufen in verschiedenen Ländern laufen. Dabei „wandert“ die Ware manchmal aber nur auf dem Papier von Verkäufer zu Käufer durch halb Europa, wie Verbraucherschützer erläutern. Tatsächlich vom Kühlhaus zum Abnehmer transportiert wird sie dann nur einmal ganz am Ende.

Welche Kontrollen sind vorgeschrieben?

Die erste Verantwortung liegt bei den Herstellern. In eigenen Qualitätskontrollen müssen sie etwa Proben nehmen und darauf achten, dass Kühlketten eingehalten werden. Aufgabe des Staates ist dann die „Kontrolle der Eigenkontrolle“. In Deutschland sind dafür die Bundesländer zuständig. Ansatzpunkte sind Listen, um Lieferwege beim Ein- und Weiterverkauf zurückverfolgen zu können. An diesem System wird nun wieder Kritik laut: „Es kann nicht sein, dass Gemeinden und Landkreise für die Kontrollen globaler Fleischkonzerne verantwortlich sind“, sagt Linke-Verbraucherpolitikerin Karin Binder.

Welche Vorschriften für die Kennzeichnung gibt es?

Es klingt einfach: Die Angaben auf der Packung dürfen Kunden nicht täuschen oder in die Irre führen. In der EU vorgeschrieben ist dabei auch ein Verzeichnis mit den Zutaten, aufgelistet nach ihrer Menge. Ist Fleisch in einem Produkt, muss die Tierart genannt werden. Wenn es sogar besonders hervorgehoben ist wie in „Rindfleisch-Lasagne“ oder durch eine Abbildung auf dem Karton, muss die Menge in Prozent in die Liste. Die Verbraucherzentrale Hamburg und Foodwatch fordern eine Pflicht, auch die Herkunft aller Hauptzutaten anzugeben. Das Bundesverbraucherministerium, das gerade ein neues Regional-Logo testet, verweist indes auf laufende Prüfungen der EU-Kommission.

Welchen Einfluss haben Verbraucher?

Die Kunden können beim täglichen Einkauf mit dem Griff ins Regal abstimmen. Politiker und Branche ermuntern regelmäßig, nicht nur auf den Preis zu schauen. „Wir achten zunehmend auf Qualität“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erst kürzlich auf der Grünen Woche. Laut einer Umfrage für das Verbraucherministerium ist 89 Prozent der Deutschen „sehr wichtig“ oder „wichtig“, dass Lebensmittel aus tiergerechter Haltung stammen. Es folgen regionale Herkunft (67 Prozent) und der Preis (66 Prozent). Die Verbraucher seien bereit, für Qualität mehr Geld zu bezahlen, sagt Handelsexperte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Aber dies müsse auch erkennbar sein. Bestes Beispiel seien Eier, bei denen Haltung am Boden und im Freiland dank Kennzeichnung inzwischen absolut dominiere. Wenn keine Unterschiede in Produktion und Qualität zu erkennen seien, werde der Preis aber schnell zum ausschlaggebenden Argument. Allerdings müssten auch billige Lebensmittel einwandfrei sein. „Den Umkehrschluss, teurer ist immer besser, kann man auch nicht so stehen lassen.“

Was fordern Verbraucherschützer?

Die Verbraucherzentrale Hamburg mahnt, dass Unternehmen in der EU gesetzlich verpflichtet werden, eine Rückverfolgbarkeit über alle Stufen der Produktion hinweg zu sichern. Weil das kostet, könnte so auch ein finanzieller Anreiz geschaffen werden, direkt mit Erzeugern zusammenzuarbeiten. Darüber hinaus müsse mehr Geld für Kontrollen von Lebensmitteln her. Der stellvertretende Foodwatch-Geschäftsführer Matthias Wolfschmidt fordert zudem: „Wir brauchen Strukturen, die sicherstellen: Lug und Betrug wird mit hoher Wahrscheinlichkeit entdeckt und richtig teuer.“ Da Handelskonzerne Milliarden-Umsätze machen, müssten Strafen bei Verstößen in Millionen-Höhe liegen.

Werden die Deutschen ihre Speisezettel umstellen?

Konsumpsychologe Stephan Grünewald vom Institut Rheingold erwartet durch den Pferdefleisch-Skandal keine drastischen Veränderungen bei den Essgewohnheiten. Das sei eher der Fall, wenn ein Skandal wirklich auf den Magen schlägt. „Das ist weniger von Fakten als von der Macht der Bilder abhängig. Die Ess-Ethik ist von der Ästhetik abhängig.“ Bilder gekeulter Tiere zum Beispiel könnten kurzfristige Änderungen bewirken. „Längerfristig gesehen sind die Menschen in der Ernährung Gewohnheitstiere.“ Sie setzten bei Skandalen erfahrungsgemäß auf ein reinigendes Gewitter und kehrten dann schnell zu ihren Gewohnheiten zurück.

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