Gesundheitsinfos im Netz: Chance oder Gefahr?

Hannover (dpa/tmn) - In Gesundheitsfragen wenden sich inzwischen viele Menschen zuerst an „Dr. Google“ und seine virtuellen Kollegen. Das Netz kann für Patienten eine gute Informationsquelle sein - aber auch eine Quelle der Verunsicherung.

Ein Ziehen im Magen, für das es keine naheliegende Erklärung gibt. Stechende Kopfschmerzen ohne erkennbaren Grund. Wen fragen Betroffene zuerst? Verschiedene Studien besagen, dass viele sich an das Internet wenden. „Etwa 65 Prozent geben inzwischen an, dass sie in letzter Zeit im Internet nach Gesundheitsinhalten gesucht haben“, sagt Prof. Marie-Luise Dierks von der Patientenuniversität Hannover. Zwar versuchen keineswegs alle, sich selbst eine Diagnose zu stellen, es komme aber vor.

Prinzipiell kann die eigenständige Internetrecherche durchaus nützlich sein, ist Dierks überzeugt. Das Netz sei eine große Chance, um die Selbstständigkeit der Patienten und ihr Selbstbewusstsein im Umgang mit Krankheiten, Ärzten und Medizin zu stärken. „Es ist aber wichtig, dass Informationen aus dem Internet stets kritisch hinterfragt werden.“

Die Ärzteschaft reagiert gespalten auf das Internet als Quelle für medizinische Informationen. Es spreche nichts dagegen, sich zu informieren, findet Ursula Marschall. Gefährlich werde es dann, wenn der Patient dem Internet mehr Glauben schenkt als dem Arzt. „Patienten haben immer eine eigene Vorstellung von ihrer Krankheit“, erläutert die Leitende Medizinerin der Krankenkasse Barmer GEK. Wer im Internet recherchiert, laufe Gefahr, nur noch den Informationen zu folgen, die dieses Bild bestätigen - auch wenn sie völlig falsch sind.

Ähnliche Risiken sieht Maria Gropalis vom Psychologischen Institut der Universität Mainz. „Die Gefahr der Fehlinformation ist im Internet sehr hoch. Auch das Zuviel an Informationen kann ein Problem werden.“ Dabei denkt sie besonders an Menschen, die unter Hypochondrie leiden, also große Angst haben, krank zu sein. „Es besteht das Risiko, dass schon vorhandene Ängste durch das Internet noch verstärkt werden.“

Gropalis ist zwar der Ansicht, dass „Cyberchondrie“ vor allem ein Modewort, aber als Teil der Krankheitsangst durchaus Realität ist. „Menschen mit Hypochondrie bilden sich keine Symptome ein, aber deuten sie falsch.“ Das Internet sei dabei ein gefährlicher Gehilfe. Viele gingen ins Internet, um sich zu beruhigen. Manchmal werde der Wunsch erfüllt, oft aber eben auch nicht. Dann passiere das Gegenteil.

Schnell werde da aus einfachen Kopfschmerzen wegen Müdigkeit oder Flüssigkeitsmangel ein Hirntumor. Besonders wenig hält die Psychologin von virtuellen Diskussionsforen. Oftmals geben Leute dort Auskunft über ihre spezielle persönliche Krankengeschichte. Meist seien Leute aktiv, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, etwa weil sie lange auf eine Diagnose warten mussten oder eine Fehldiagnose bekommen haben. „Foren sind sehr oft eine Quelle der Verunsicherung.“

Für Menschen, die nicht unter Hypochondrie leiden, ist die Suche nach Gründen für ein Unwohlsein deutlich weniger problematisch. Die Recherche auf eigene Faust könne ein Arzt-Patient-Gespräch aber nie ersetzen, warnt Marschall. „Das Gespräch ist ein ganz wichtiges Medium der Diagnose, genau wie die physische Untersuchung. Beides geht im Internet nicht.“ Der Arzt stelle seine Diagnose nämlich nicht nur aufgrund der akuten Symptome. „Er nimmt sie als Anhaltspunkt, fragt davon ausgehend weiter und sieht den Patienten als Gesamtbild.“

Zur Information online empfiehlt Marschall Patientenleitlinien medizinischer Fachgesellschaften. „Da wird Medizinerdeutsch in Patientensprache übersetzt. Sie werden von Experten erstellt und basieren auf dem aktuellen Stand der Forschung.“ Für Prof. Dierks sind die Webseiten staatlicher Einrichtungen oder auch von Krankenkassen verlässliche Quellen. Wer online recherchiert, sollte stets darauf achten, wie alt die Information ist, ob eine Person für den Inhalt verantwortlich zeichnet und wer das ist. Es gibt auch Quellen, vor denen sie besonders warnt: „Webseiten, auf denen etwas verkauft werden soll, da wäre ich vorsichtig.“

Glaubt man Dierks, macht im Gespräch mit dem Arzt vor allem der Ton die Musik. Es sei eben ein Unterschied, ob dem Arzt ein Packen Ausdrucke samt fertiger Diagnose präsentiert werde oder ob Patienten glaubwürdige Informationen aus dem Netz benutzen, um dem Arzt die richtigen Fragen zu stellen. Wer es richtig angeht, dem könne die eigene Recherche helfen, den Arzt besser zu verstehen.

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