Forscher drucken Knorpelgewebe mit Biotinte

Stuttgart/Hannover (dpa) - Es sieht aus wie Blindenschrift, was diese Art aufgemotzter Tintenstrahldrucker auf die pink gefärbten Trägergele fabriziert. Ausgestattet mit Kanülen und Schläuchen setzt der Apparat eine spezielle Flüssigkeit auf Gelatinebasis Pünktchen neben Pünktchen.

„Wir können auch Linien oder ganze Muster drucken“, erklärt Kirsten Borchers, Projektleiterin am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart.

In der speziellen Gelatine schwimmen Zellen aus Knorpelgewebe. Diese entwickeln sich auch erfolgreich fort, wie die Forscher in ersten Untersuchungen festgestellt haben. Ihr Ziel: Die Gele sollen so behandelt und mit Zellen versetzt werden, dass irgendwann einmal unterschiedliche natürliche Gewebe nachgebildet werden können - von festem Knorpel- bis hin zu weichem Fettgewebe. Der Drucker soll das Biotinte genannte Material dann Schicht für Schicht aufeinanderlegen, so dass am Ende dreidimensionale Gebilde entstehen.

„Wir sind aber noch ganz am Anfang“, macht Borchers klar. „Bis wir etwas Funktionales haben, etwa ein Gewebe inklusive anschließbarer Blutgefäße, wird es bestimmt noch fünf Jahre dauern.“ Für etwas, was medizinisch Anwendung findet, rechne sie mindestens das Doppelte der Zeit.

Die erste Hürde haben die Stuttgarter überwunden: Die Biotinte musste flüssig sein, um sie drucken zu können. Damit sich danach aber feste Gewebestrukturen bilden, muss sie kontrolliert verhärten. Borchers und ihr Team haben nun eine chemische Methode gefunden, mit der beides funktioniert. Denn die Gelatine vernetzt sich erst wieder zu einer festen Masse, wenn sie mit UV-Licht bestrahlt wird. Das dann entstehende Hydrogel enthält lebende Zellen und löst sich weder bei Hitze noch im Wasser - wie ein natürliches Gewebe eben.

Die nächste Herausforderung steht jetzt an: Um größere Gewebestücke drucken zu können, müssen Blutgefäße produziert werden. „Sonst sterben Zellen ab“, sagt Lothar Koch, Leiter der Gruppe Biofabrication am Laser Zentrum Hannover. Dort produziert er Haut - allerdings bislang in einfacher Form ohne Drüsen und Haare.

Zwar vermeldeten Forscher in den USA erste Erfolge etwa mit einer gedruckten Mini-Niere. „Das ist aber weit entfernt von einer echten Niere und überhaupt noch nicht leistungsfähig“, macht Koch deutlich.

„Es gibt den großen Traum, irgendwann einmal Organe herstellen zu können“, sagt er. Bis das aber für aufwendige Körperteile wie Niere oder Herz möglich ist, dauere es wohl mindestens noch bis Mitte des Jahrhunderts. Eine Frage sei auch, woher die Ausgangszellen kommen sollen. „Bei Organtransplantationen kann ich nicht die Zellen des Patienten nehmen, weil ja gerade das Organ krank ist.“ Daher würden meist Stammzellen oder umprogrammierte Zellen genutzt. „Da weiß man aber noch nicht, ob sich dann vielleicht Krebsgeschwüre bilden.“

Koch und Borchers arbeiten auf dem Gebiet des „Bioprintings“ („Biodrucks“). Einige Wissenschaftler weltweit arbeiten mit zellhaltigen Tinten, andere drucken lediglich die grobe Gewebestruktur, in der später Zellen wachsen sollen. „Mit unseren Gelatine-basierten Tinten lassen wir die Zellen in einer natürlichen Umgebung“, erklärt Borchers den Unterschied. Darin sollen sich diese selbst zu einem funktionsfähigen Gewebe organisieren.

„Das folgt dem Wunsch, man könnte Gewebe industriell am Fließband herstellen wie einen Fernseher“, sagt Augustinus Bader von der Universität Leipzig. Dort leitet er die Gruppe Zelltechniken und Angewandte Stammzellbiologie und verfolgt eine andere Strategie: Er arbeitet an Mechanismen, mit denen der Körper sich selbst repariert. „Sie sehen an kleinen Wunden, dass der menschliche Körper sich quasi selbst drucken kann, der Wiederaufbau erfolgt ebenso schichtweise, nur eben durch den Patienten selbst. Nur größere Defekte kann der Mensch nicht eigenständig beheben, es entsteht eine Narbe.“

Bader sucht daher Informationen darüber, welche Signale wo gesetzt werden müssen, damit sich der Körper selbst schichtweise regenerieren kann, auch wenn die Schäden eine kritische Größe übersteigen. Mit dieser Methode seien im Tierversuch Erfolge erzielt worden. „Und dank der guten Medizin heute, da kann man dem Körper auch bei großen Verletzungen Zeit für eigene Reparaturprozesse geben.“

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