Wandel der Produktion Des Kaisers süßes „Privileg“: 175 Jahre Würfelzucker

Wien (dpa) - Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das galt bis vor 175 Jahren sogar für den Zuckerkonsum. Zu bis zu 1,5 Meter hohen Zuckerhüten war die Melasse in Tonkrügen ausgehärtet, bevor sie von der Hausfrau mit Zuckerzangen und -hacken mühsam zu Brocken zerkleinert wurde.

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Als sich die Frau das mährischen Zuckerfabrikanten Jacob Christoph Rad dabei verletzte, schritt ihr Mann zur Tat: Er füllte den angefeuchteten Zucker in kleine Blechformen und hatte damit den Würfelzucker erfunden. „Er erhielt für dessen Herstellung ein kaiserliches Privileg, das war der Vorläufer des Patents“, erinnert ein Sprecher des österreichischen Patentamts an den Schritt Ferdinands I.. Am 23. Januar 1843 wurde die Welt süßer - und für Hausfrauen etwas weniger gefährlich.

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Das neue Verfahren beruhte auf den 400 quadratischen Löchern einer Messingplatte, in die das Zuckermehl gestreut, mit einer Presse stark verdichtet und anschließend zwölf Stunden lang getrocknet wurde. In seiner Fabrik ließ Rad sechs Pressmaschinen aufstellen mit einer Tagesproduktion von 1,1 Tonnen Würfelzucker.

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Auch wenn die derart portionierte Zucker-Dosis nicht sofort überall ankam, wurde sie dank Papierhülle ein für Werbezwecke beliebter Begleiter zum Kaffee. „Das Design der Verpackung war extrem verschieden, die Kaffeehäuser machten für sich Reklame oder schimpften „Weg mit der Getränkesteuer!““, sagt Karin Rädel aus Seligenstadt in Hessen. Sie ist Vorsitzende des Deutschen Zuckersammler-Klubs (DZDF) und hortet in ihrem Zuckerzimmer nicht weniger als 160 000 Stück Würfelzucker.

Der älteste von der Weltausstellung in New York stamme von 1939, so die 62-Jährige. „Mein Vater hat mir Würfelzucker geschenkt, im Glauben, ich würde ihn essen.“ Daraus wurde nichts. Sie begann zu sammeln, heute wiegen ihre Zuckerstücke in Summe fast eine Tonne. Und Rädel glaubt zu wissen, dass die Deutschen ein wenig bekanntes Hobby haben. „Ganz Deutschland ist voll von heimlichen Zuckersammlern.“ Fast jede Woche werde ihr von Erben, die mit dem süßen Nachlass nichts anfangen könnten, eine Sammlung angeboten.

Offenbar seien die Würfel - besonders in den Wirtschaftswunderzeiten der 1950er Jahre auf den Untertassen zu finden - eine nostalgische Erinnerung an schöne Stunden im Café. Und sie waren auch eine Vorsorge für Notzeiten. „Im Krieg wurden viele Sammlungen gegessen“, meint die 62-Jährige, in deren Klub mit etwa 60 Mitgliedern auch Zahnärzte sind, obwohl Zucker Karies fördert.

Zur Debatte um die Schädlichkeit von Zucker positioniert sich die deutsche Zuckerindustrie mit dem Hinweis: „Wer mehr Kalorien aufnimmt, als er verbraucht, nimmt zu. Ganz gleich, woher diese Kalorien stammen.“ Sich bei der Diskussion um Übergewicht auf eine Zutat zu fokussieren, mache keinen Sinn. „Zucker ist kein Dickmacher und deswegen auch kein Risikofaktor für Zivilisationskrankheiten“, heißt es weiter in den „Sieben Fakten zu Zucker und Ernährung“. Die Zuckerhersteller, deren Branchenprimus Südzucker 6,5 Milliarden Euro im Jahr umsetzt, sind unter Druck: Die Industrie forscht mit Blick auf gesundheitsbewusste Kunden intensiv an Ersatzstoffen.

Der Ruf des weißen Stoffs ist schlecht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung meint: „Per se ist Zucker nicht zwingend schädlich.“ Wie in vielen Fragen, komme es auf die Dosis an, sagt eine Sprecherin. Besonders zuckerhaltige Limonaden erhöhten das Risiko für Übergewicht und Diabetes. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollten die Menschen nur fünf Prozent ihres täglichen Kalorienbedarfs über Zucker decken - in Europa, Nord- und Südamerika und Australien isst statistisch jeder Bürger täglich ein Vielfaches davon. Seit rund 50 Jahren liegt der Zuckerverbrauch der Deutschen laut Statistiken pro Kopf etwa bei 34 Kilogramm im Jahr.

Die rund 30 000 Zuckerrübenbauern in Deutschland beliefern 20 Zuckerfabriken. Dort wurden zuletzt etwa drei Millionen Tonnen Zucker produziert. Das allermeiste ging an verschiedene Industrien - nur zehn Prozent wurden laut Wirtschaftlicher Vereinigung Zucker als Raffinade, Puder, Würfelzucker oder Kandis über den Lebensmittelhandel direkt vertrieben. „Würfelzucker ist ein Nischenprodukt“, sagt eine Sprecherin der Vereinigung Zucker. Auch die Zuckersammlerin Rädel trägt nur bedingt zum Umsatz bei. „Ich trinke Kaffee ohne Zucker.“

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