Die Hilflosigkeit der Eltern

Jugendforscher Axel Dammler erklärt in einem Ratgeber, warum sich ihre Kinder ins Internet flüchten.

Herr Dammler, Sie ärgern sich darüber, wie Jugendliche mit Schlagworten wie Killerspiele und Komasaufen pauschal verurteilt werden. Wie sieht denn der Alltag durchschnittlicher Jugendlicher aus?

Dammler: Sie kommen von der Schule nach Hause und schalten den Computer ein. Während der Hausaufgaben laufen parallel Messenger-Dienste, damit man mit seinen Freunden vernetzt ist, im Hintergrund hört man vielleicht auch Musik über den Computer. Die Zahl der Fenster, die Jugendliche auf ihrem Bildschirm geöffnet haben, ist meist kaum zu überblicken. Vieles läuft aber trotzdem immer noch über persönliche Freundschaften, über Treffen und Telefonate.

Dammler: Die Gefahr beginnt, wenn das Internet die Realität verdrängt und ich das echte Leben vernachlässige. Am extremsten ist das bei denen, die sehr viel in Online-Rollenspielen wie "World of Warcraft" drinhängen. Da muss man dann wirklich von Sucht sprechen. Aber das ist auch spürbar, wenn es um das Kontakthalten mit Bekannten und Freunden im Internet geht. Einige Jugendliche sagen mir: Wenn ich nicht online bin, werde ich nervös.

Dammler: Nein, das ist der falsche Weg. Besser ist es, mit den Jugendlichen zu reden und sich erstmal zeigen zu lassen, was sie da eigentlich machen. Die Bravo hat man ja früher auch mal durchgeblättert.

Dammler: Ich habe einen Brief von einer Mutter bekommen, die sich nach dem Lesen meines Buches von ihrem Sohn das Spiel "Counterstrike" hat zeigen lassen, das ja in Deutschland geschätzte 1,5Millionen Menschen spielen. Danach war sie dann viel entspannter, weil sie verstanden hat, dass es auch nur eine andere Art von Wettkampf ist und ihr Sohn nicht in Gefahr ist, allein dadurch gewalttätig zu werden. Trotzdem kann sie natürlich ihrem Sohn klar sagen, was sie an dem Spiel blöd findet. Aber sie hat viele diffuse Ängste abgebaut.

Dammler: Nicht, wenn man als Mutter und Vater mit einer neutralen Neugier zu seinen Kindern kommt und sich von ihnen auch mal helfen lässt. Und es geht ja auch nicht darum, in ihre Welt einzudringen, sondern eine Ahnung zu bekommen, was sie da tun.

Dammler: Weil man nicht verhindern kann, dass sie mit fragwürdigen Inhalten in Berührung kommen, und darauf sollte man sie vorbereiten. Zum Beispiel Webseiten mit rechtsextremenen Inhalten: Die sind oft nicht sofort als solche erkennbar und kommen recht neutral daher. In diesem Rahmen wird dann aber die Auschwitz-Lüge und vieles mehr verbreitet. Vor solchen Gefahren müssen Erwachsene warnen und aufklären. Das Gleiche gilt für Pornographie: Jugendliche, die noch kaum Erfahrung haben, müssen lernen, dass das nichts mit Liebe und Beziehungen zu tun hat.

Dammler: Es ist für Eltern wichtig sich einzugestehen, dass die Welt der Jugendlichen eine andere geworden ist, und ich glaube, das passiert nicht. Unsere Lebensziele wie Ehe und Beruf sind im Bewusstsein der Eltern immer noch auf die Ewigkeit ausgerichtet. Das sind aber Dinge, die heute nicht mehr so funktionieren. Flexibilität und Mobilität werden heute in allen Bereichen von Jugendlichen stark gefordert.

Dammler: Wir haben eine extrem leistungsorientierte Jugend und auch eine sehr wertkonservative. Wenn ich mir einen Krawall-Rapper wie Bushido anschaue und die Verbal-Fäkalien herausnehme, geht es um Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt. Die Jugendlichen suchen also genau das, was sie in der Gesellschaft derzeit nicht finden, nämlich ein festes Fundament, auf das sie sich verlassen können. Und wenn sie das nicht finden, flüchten sie in die virtuelle Welt.

Dammler: Erwachsene haben die Aufgabe, diese Wünsche zu kanalisieren und sie auf das richtige Fundament zu stellen. Wer sich das perfekte und erfüllte Leben wünscht, wie Jugendliche das oft tun, der muss zwangsläufig enttäuscht werden. Es gibt in unserer Gesellschaft viele Brüche in den Biografien. Das muss man als Eltern wissen und akzeptieren, damit man seine Kinder darauf vorbereiten kann.

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