Whistleblower haben einen schlechten Ruf

Berlin (dpa/tmn) - Was tun, wenn Kollegen im eigenen Unternehmen gegen das Gesetz verstoßen? Zum Chef gehen? Oder zur Polizei? Schweigen? Whistleblower, die auf Missstände hinweisen wollen, stehen vor einer schwierigen Entscheidung.

Die rechtliche Lage ist komplex.

Wer Missstände meldet oder sogar Strafanzeige erstattet, gilt oft als Netzbeschmutzer und muss arbeitsrechtliche Konsequenzen fürchten. „Das ist ein sehr problematisches Feld“, sagt Martina Perreng, Juristin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Berlin. Klare gesetzliche Regelungen fehlten, und die Rechtsprechung, insbesondere durch den zweiten Senat am Bundesarbeitsgericht, betone die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber - ihn mit Vorwürfen zu konfrontieren oder anzuzeigen kann als Verstoß dagegen gewertet werden.

Guido Strack, Gründer des Vereins Whistleblower Netzwerk, beobachtet das mit Sorge. „Whistleblower gelten als Denunzianten“, lautet seine Erfahrung. „Im Augenblick ist es am sichersten, den Mund zu halten. Das muss sich ändern.“

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) hält wenig von verbessertem Rechtsschutz für Whistleblower: „Unsere Position lautet, wir brauchen keine gesetzliche Regelung“, sagt Nora Braun, BDA-Referentin für Arbeitsrecht. Wünschenswert sei, wenn in solchen Fällen immer zuerst eine innerbetriebliche Klärung versucht wird. „Es gibt Ausnahmen, die die Rechtsprechung bereits jetzt erlaubt, etwa bei Straftaten mit schweren Folgen“, sagt Braun.

Wer Angst vor Konsequenzen hat, hält einen anonymen Hinweis vielleicht für die naheliegende Lösung. Aber die Hoffnung ist trügerisch, warnt Martina Perreng: „Der Personenkreis, der dafür infrage kommt, ist in der Regel sehr überschaubar.“ Das heißt, für den Betreffenden gibt es ein echtes Risiko aufzufliegen. Und dann droht mindestens eine Kündigung.

Heikel wird es vor allem, wenn sich die Vorwürfe als falsch herausstellen sollten. „Dann besteht das Risiko, dass der Arbeitgeber Schadenersatz fordert“, warnt Perreng. „Fälle, in denen Arbeitnehmer leichtfertig folgenreiche Anschuldigungen erheben, sind allerdings selten.“

Wer von illegalen Vorgängen in seinem Unternehmen erfährt, ist nicht gesetzlich verpflichtet, sie zu melden. „Das gilt mit wenigen Einschränkungen“, sagt die Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür aus Köln - nur die Planung besonders schwerwiegender Straftaten wie Raub oder räuberische Erpressung muss den Behörden gemeldet werden.

Etwas anders sieht es bei Mitarbeitern aus, die im Betrieb für Compliance, also die interne Kontrolle für das Einhalten von Gesetzen und Regeln, zuständig sind. „Sie sind in der Handlungspflicht und dürfen nicht verschweigen, wenn sie entsprechende Kenntnisse haben.“

Die Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber schließt aber ein, nicht gleich die Staatsanwaltschaft anzurufen - und schon gar nicht die Presse: „Man muss zunächst intern Abhilfe suchen und den Arbeitgeber informieren“, erläutert die Fachanwältin. Nur wenn das nicht geht oder nicht erfolgversprechend erscheint, beispielsweise weil die Unternehmensspitze involviert ist, sei es zulässig, den direkten Weg nach außen zu wählen.

Wer von kriminellen Machenschaften erfährt, sollte daher überlegen, ob es im Betrieb einen Ansprechpartner gibt. „Das ist bei Delikten von Kollegen in der Regel der Vorgesetzte“, sagt Nathalie Oberthür, bei schwerer zu überschaubaren Vergehen ist es die Geschäftsführung.

Wer keinem davon traut, ist in einem Dilemma: „Es gibt dafür leider keinen festen externen Ansprechpartner, ähnlich wie die Datenschutzbeauftragten“, kritisiert Martina Perreng. Zumindest bleibe die Möglichkeit, sich mit einem Anwalt zu beraten. Stehen Straftaten zweifelsfrei fest, sei Zögern aber falsch: „Wenn irgendwo Gift verklappt wird, gibt es keinen Entscheidungsspielraum.“

Einen Königsweg für Whistleblower gibt es nicht, betont Guido Strack. Geht es um solche schweren Fälle, empfiehlt er: „Suchen Sie sich einen anderen Arbeitsplatz und machen Sie ihre Kenntnisse dann öffentlich oder suchen Sie einen Verbündeten, der so viel Einfluss hat, dass er Sie schützen kann.“

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